Orwell und die Piratenpartei, oder: Warum der Einzug in den Bundestag scheitern musste.

Hier endlich mal wieder ein Gastbeitrag. Diesmal von @harryliebs, der eine Antwort darauf sucht, was im Wahlkampf der Piratenpartei zur Bundestagswahl 2013 schief gelaufen ist. Viel Spaß! (Und wenn ihr auch mal gastbeitragen wollt, meldet euch!)

Keine deutsche Partei hat sich gefühlt so oft auf George Orwell und seinen Roman 1984 bezogen wie die Piratenpartei. Bei der Qualitität der Bezüge sieht es wohl anders aus, sonst hätten wir vielleicht gemerkt, dass zwischen den „five eyes“ (Geheimdienste der USA, UK, Neuseeland, Australien, Kanada) und Oceania eine geographische Parallele besteht und wir den Wahlkampf damit verbrachten „death to Oceania“ zu rufen. Wir hätten vielleicht auch gemerkt, dass es bei Orwell um Machterhalt durch die Verunmöglichung von Freundschaft, Liebe und Solidarität geht, etwas was in unserer Partei weitgehend fortgeschritten ist. Aber dazu später mehr.

These 1: Das Internet ist Angstraum geworden

Alles in was wir unsere Hoffnungen gesetzt haben – die Vernetzung der Bevölkerung, die Schaffung digitaler Plattformen zur politischen Selbstbestimmung, die Welt, die wir vor Sperren, Verboten und staatlichen Zumutungen retten wollten, wir haben Angst vor ihr und diese haben wir auch vermittelt. Vielleicht konnten wir gar nicht anders als mit einzustimmen als die Zeit der Facebook- und Twitterrevolutionen vorbeiging. Es bleibt jedoch festzustellen: Die Kommunikation im Netz ist eine Frage der nationalen Verteidigung geworden und angesichts dessen sprang ein Großteil der Bevölkerrung der CDU/CSU auf den Schoß. Vor lauter NSA und GCHQ, deutschem Boden und deutscher Souveränität ist uns der Optimismus verloren gegangen. Dabei hat gerade die Episode um den Taksim Platz in Istanbul gezeigt, dass die Möglichkeiten der Kommunikation im Netz zu allererst ein Quell der Angst für autoritäre Regierungen sein sollten.

These 2: Unsere Kommunikation trägt dazu bei.

Auch die Art, wie wir Pirat*innen (mich eingeschlossen) miteinander kommunizieren, hat zumindest das Potential, Angst zu wecken. Das Problem sind nicht nur irgendwelche übriggebliebenen von Klüngeln schwafelnden Parteitrolle, sondern es ist der allgemeine Neid, die Missgunst und das grenzenlose Misstrauen in Menschen, denen wir am Tag zuvor noch Verantwortung gegeben haben. Kein Amt ist unwichtig genug, um nicht Machtmissbrauch anzuprangern, kein Argument unter den Grundrechten ausreichend und keine Gefahr niedriger zu werten als z.B. der Daten-Gau. Dass es, wenn wir die jetzige Entwicklung fortschreiben, bald keine Ressourcen mehr zu verteilen gibt und die Verlockung zum Machtmissbrauch gegen Null gehen wird, ist da Nebensache. Menschen, die so viel Misstrauen verinnerlicht haben, die diese maximale gegenseitige Kontrolle (wir nennen das verharmlosend Transparenz) praktizieren, traut eins keine passable Kampagne gegen die Überwachungs- und Kontrollgesellschaft zu. Daneben galt es den Linksruck, Vergrünung, Feminismus und Verfassungsfeinde allerorten abzuwehren, bzw. dem bürgerlichen Flügel das Wasser abzugraben.

These 3: Wir waren kampagnenunfähig.

Durch unsere Weigerung, uns einer politischen Auseindersetzung über die Ausrichtung der Partei zu stellen, für welche ohnehin immer noch keine geeignete Plattform besteht , blieb uns nichts anderes übrig als ungefährliche Themen zu bearbeiten. So wurde ein durchaus gruseliges Uni-Projekt in Kleinstdemos so bekämpft, als handele es sich um Skynet und jede noch so affirmative Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts jubelnd begrüßt. Die Parole war: Durchhalten bis zur Bundestagswahl!

These 4: Wir werden auch kaum mehr kampagnenfähig werden.

Die Veröffentlichung der Snowden Papers schreitet scheibchenweise voran, wir hetzen den Themen hinterher. Ihre vermeintliche Relevanz und der damit verbundene Leistungsdruck, wird es uns weiterhin verbieten eine Kampagne gegen staatliche Überwachung zu beginnen. Weder werden wir definieren noch vermitteln können was Privatsphäre ist, noch die Kontrollgesellschaft bekämpfen, welche wir wie oben beschrieben sowieso für absolut notwendig erachten. Ehrlicherweise – wir waren nicht einmal in der Lage „Asyl für Snowden“ und unser durchaus hervorstechendes Asylprogramm gemeinsam zu kommunizieren. Wenn neue Snowden Papers auf den Markt kommen, ist jede Arbeit von Landtagsfraktionen und ihre bisherigen Bearbeitungsstände vergessen, es gilt nun, diese möglichst schnell garniert mit den Buzzwords „Orwell“ und „Grundgesetz“ in PM-Form zu pressen. Bei so ziemlich jeder PM zur NSA während des Wahlkampfes fühlte ich mich an den Two Minute Hate in 1984 erinnert.

Es ist daher durchaus möglich, dass die US-Bürgerrechtsorganisation ACLU und ihre Bündnispartner die NSA zurechtstutzen werden, während der ebenfalls full-take betreibende BND seinen Prachtbau unweit unserer Parteizentrale beziehen wird und durch die VDS die Ermittlungsbehörden freie Hand haben werden. Dabei wären es doch gerade wir, die sich überzeugend gegen Überwachungsschland wenden könnten.

These 5: Lost causes are beautiful.

2014 ist ein neues Jahr. Es wird eine Europawahl, drei Landtagswahlen und Kommunalwahlen geben, nicht nur wird der Pöstchengenerator auf Hochtouren laufen, wir haben zumindest drei große Chancen, den Hype von 2011 zu wiederholen. Ich bin der Auffassung, wir sollten dies trotz des obigen negativen Ausblicks tun. Manche von uns sind einfach zu chaotisch und unangepasst, um in einer anderen Partei Politik zu gestalten, andere zu alt. Die Piratenpartei hat die Chance, eine freiheitlich linke Partei zu sein und damit eine immer weiter klaffende Lücke im Parteiensystem zu schließen. Tut sie das nicht, werden es hoffentlich bald andere tun.