Der Tod der Autorin ist nur ihr Anfang

Die folgende Rede habe ich als Keynote in Hagen auf dem Kultursymposium “Der Autor ist tot, es lebe der Autor!” gehalten.

Da ich mich nicht mit der geistesgeschichtlichen Dekonstruktion der Autorin als Punkt im Diskurs auseinandersetzen werde, spreche ich heute über die Autorin, den Angelpunkt der Individualisierung, in Zeiten der Digitalisierbarkeit aus durchaus persönlicher Sicht. Anders scheint es nicht zu gehen. Blickt eins in die Entwicklungen der letzten Jahre, betrachtet anonyme Kollektivliteratur und die Geschwindigkeit mit der Texte um die Welt wandern, oft nicht mehr zuordnungsfähig, fühlt es sich nur konsequent an, was die Poststrukturalistinnen einst verkündeten: Der Tod der Autorin ist realer denn je. Der Kontrollverlust, der in den Arbeiten zur toten Autorin bereits angelegt ist, wird vollkommen, die Autorin verliert Deutungshoheit und Kontrolle über ihren Text.

Mehr noch: Im Netz verschwimmt die Biographie der Autorin, die Eigentümlichkeit und gleichzeitig die Orientierung zur Hilfe nach der Frage: Was ist relevant und was kann weg? Die bekannten Orientierungshilfen werden Stück für Stück entwertet. Im Netz steht alles zunächst gleichberechtigt nebeneinander, der Text steht für sich, die Zuordnung kann gar falsch sein. (Beispiel: Zitat von Voltaire)

Das Genie wird abgeschafft, die Denkerin ausradiert. So heißt es. Und einige sehen darin bereits den Untergang der Demokratie. Das Genie jedoch war immer schon eine Konstruktion von Obrigkeitsdenken, ein Ausdruck des Wunsches nach Führung. Walter Benjamin entlarvt diese Verbindung in seinem berühmten Essay “Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit”. Und tatsächlich: eine Autorin arbeitet nicht solitär, sondern immer in einem Resonanzraum. Sei es nun in der Interaktion mit anderen Autorinnen, dem direkten Umfeld oder mit denen, die das von Autorinnen geschaffene Rohmaterial weiterverarbeiten und vermarktbar machen. Die Autorin ist ein Filter, durch den die Welt fließt und verklumpt. Diese Verklumpungen sind die intellektuelle Ressource. Die Autorin ist sozusagen ein Trüffelschwein, das in der immateriellen Welt nach Schätzen sucht und sie zu Tage fördert. Doch die Trüffel sind erstmal schmutzig, unrein. Erst im Austausch mit anderen werden Texte daraus, die eine gesellschaftliche Relevanz haben.

Die Vorstellung, dass ein fertiger Text aus einem einzigen Kopf entspringt ist entsprechend immer schon ein Mythos gewesen. Texte entstehen aus Kopie und Veränderung im gesellschaftlichen Prozess. Ideen werden adaptiert, verändert und getauscht. Remixen ist die wesentliche Grundlage für die Entwicklung von Texten. (vgl. Mash-Up, Dirk von Gehlen) Und Remixe sind Ausdruck einer kollektiven Leistung. Die digitale Revolution macht das so sichtbar wie nie.

Doch im Laufe der Zeit haben sich lukrative Positionen gebildet, die mit Kapital ausgestattet sind und gesellschaftliche Macht bedeuten. Denken wir nur kurz an Verlegerinnen, Chefredakteurinnen und so weiter. Aus der technischen Not des 18. Jahrhunderts heraus entstanden textliche Produktionsstätten, mit denen auch Politik betrieben werden kann und die es für die Protagonistinnen zu verteidigen gilt.

Doch diese urprünglichen Produktionsbedingungen sind mit dem Aufkommen des Internets, sozialer Medien und radikaler Kopierbarkeit verändert worden. Nicht zuletzt, weil Publizieren so einfach wie nie geworden ist. Publizieren ist mittlerweile allen Menschen barrierearmer möglich. Doch nicht nur das: Texte sind nunmehr jederzeit abrufbar und zugänglich, auch verschwimmt die Zuordbarkeit von Texten, ebenso wie die Relevanz von Ort, Zeit, Kontext. Dekontextualisierung ist ein wesentliches Merkmal der neuen digitalen Realität und stellt die gesammelte Autorinnenschaft vor neue Herausforderungen.

Grundsätzlich denke ich, stellt sich gesamtgesellschaftlich durchaus die Frage, inwiefern das Publizieren innerhalb einer kapitalistischen Verwertungslogik gut aufgehoben ist. Das geht ein wenig in die Richtung der Unterscheidung, die Hannah Arendt zwischen Arbeiten, Herstellen und Handeln getroffen hat. Publizieren fällt grundsätzlich in den Bereich des Handelns, und deshalb ist es nicht dasselbe, ob ich für einen Stuhl, den ich hergestellt habe und verkaufe, Geld bekomme, oder für einen Text (oder ein anderes Kulturprodukt), was mir ermöglicht, innerhalb der Gesellschaft politisch zu handeln.

Mit dem Internet nun wird das Publizieren für die Masse verfügbar und somit auch das politische Handeln durch Publikation. Und mit dieser Demokratisierung des Publizierens, wird der Prozess eine relevante Publikation zu schaffen unabhängiger von den gewachsenen Institutionen. Jeder kann Publizieren. Jederzeit. Alles. Und so bleibt in einer Welt, in der jeder publizieren kann, nur die Frage nach der sinnhaften Rolle der Autorin in der Gesellschaft. Besonders in Zeiten eines Umbruchs braucht es die Autorin. Nicht als Verfechterin einer Repressionspolitik um die eigenen Pfründe zu sichern, sondern als kritischer Geist, der die Gesellschaft sich selbst vorführt. Je unübersichtlicher und relativer die Welt wird, desto mehr wird sich auf die Autorin als Instanz, als Eingrenzung der schmerzhaften Substanzlosigkeit der Welt berufen. Die Autorin ist das Gegenmittel zu einer radikalisiert grenzenlosen Welt. Und mit jedem Tag wird sie es mehr. Das erklärt vielleicht auch den Überfluss an Buchtiteln, auf denen die Gesichter der Autorinnen zu sehen sind. Doch was bleibt? Was macht die Autorin zur Autorin? Was treibt die Autorin an zu schreiben? Welche Motive, Hoffnungen, Erwartungen werden mit dem Schreiben verbunden?

Charles Bukowski sagte:
“Unless it comes out of
your soul like a rocket,
unless being still would
drive you to madness or
suicide or murder,
don’t do it.
Unless the sun inside you is
burning your gut,
don’t do it.”

Angeschlossen an dieses Zitat, kann ich für mich schlussfolgern, dass das Schreiben letztlich ein In-Worte-pressen ist, vom dem ich glaube, dass es gesagt werden muss. Und so ist Schreiben für mich keine Wahl, sondern eine innere Pflicht, ein inneres Bedrängt-werden. Dabei kennt mein Schreiben keinen Ausweg, die innere Bedrängnis ist die Liebe für Ideen, mein Antrieb zu leben. Und zu lieben. Nicht zu schreiben brächte mich tatsächlich um.

Diese hoch romantisierte Vorstellung der heroischen Rolle der Autorin meinerseits, die Irrelevanz des direkten Publikums und die Vorstellung, dass ich vom Blitz getroffen schreibe, bedienen natürlich ein altes Bild des Genies, welches ich zu Beginn zu dekonstruieren versuchte. Und dennoch denke ich, dass diese scheinbare Ausschließbarkeit keine ist – denn eine sinnhafte gesellschaftliche Funktion bedarf keiner Genies. Letztlich heißt das, anzuerkennen, welche Rolle wir der Autorin im Universum der Diskurse zusprechen, wie das stattfindet und das es grundsätzlich notwendig und deswegen gut so ist. Es braucht die Autorin, aber nicht das Genie. Es braucht Texte, aber nicht die obrigkeitsgläubige Verehrung einzelner. Es braucht ein Vergütungssystem, aber keine repressive, technologiefeindliche und ignorante Urheberrechtspolitik. Es braucht die Autorin, die kritische Denkerin, die den Gefälligkeitskonsens durchbricht.

Aber was macht mich nun zur Autorin? Die Notwendigkeit zum Schreiben ist wohl kein hinreichendes Kriterium, ganz besonders nicht in einer Zeit, in der zunehmend Kommunikation schriftlich stattfindet. Vielmehr stellt sich die Frage, inwiefern die Konstruktion der Autorin meine Identität bestimmt und inwiefern das in der Gesellschaft anerkannt wird. Fremd- und Selbstbild sind hierbei entscheidend, die Anerkennung in der Gesellschaft schließlich relevant für eine Debatte über Eigentum, Eigentümlichkeit und die Veränderungen durch die endgültige, gnadenlose Reproduzierbarkeit von Texten.

Die Vorstellung der Autorin als Instanz ist eine westlich-moderne und ganz eng mit dem Privateigentum und dem Entstehen des modernen Subjektes verbunden. Die Autorin entsteht mit der Verantwortlichkeit (engl. accountability) für einen Text, die mit einem Vergütungssystem einhergeht. Die Autorin wird dafür bezahlt, dass sie Verantwortung für den Text übernimmt, ggf sogar Strafbarkeit. Dabei ist das nicht per se verkehrt, denn in einer kapitalistisch-modernen Gesellschaft bedarf es des Durchbrechen der Formen, Rituale und Strukturen um so mehr. Die Autorin ist im Zuge der Jahrhunderte zum Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Kritik geworden, die sich eine aufgeklärte Gesellschaft leisten muss. Gleichzeitig jedoch auch Teil der Publikationsproduktion, die im Wesentlichen den Produktionsbedingungen zur Zeit der Entstehung geschuldet ist. Der Publikationsbetrieb, der sich der gleichen Logik unterwirft, die er nur allzu gern anzugreifen vorgibt, wird notwendiger Weise zum Teil der Autorinnenidentität. Das erklärt vielleicht, wieso viele junge, deutsche Autorinnen sich lesen als handele es sich um einen Schönschreibwettbewerb. Dabei ist es eigentlich nur konsequent, dass der Leistungsgedanke auch im Publikationswesen Einzug hält.

Und so ist die Autorin als Beruf eine sehr komplizierte Angelegenheit, geht doch mit dem Anspruch an die Gesellschaft für die Rolle als Autorin bezahlt zu werden mit einem hohen Maß an Verantwortung einher, die eigentlich kaum gewährleistet werden kann. Auch gibt es keine objektiven Kriterien Texte zu bewerten. Oder zumindest kaum. Hinzu kommt die banale Auswahl innerhalb des Betriebes, die Selbstermächtigung und Zufälligkeit der Produzenten – Trends werden gemessen an Verwertbarkeit gesetzt. Dass dabei oftmals nur gefällige, schmerzlose Texte entstehen ist evident. Und traurig.

Dabei war es selten so einfach zu Publizieren, Menschen zu erreichen, Vielfalt zu erzeugen und relevante, kritische Texte in die Welt zu schreiben. Und ist es nicht das, was die Autorin umtreibt? Ihre Ideen zugänglich zu machen? Nie gab es ein größeres Publikum, nie gab es mehr Reichweite. Theoretisch. Die neuen Möglichkeiten werden jedoch nicht genutzt, stattdessen klein geredet, unsichtbar gemacht in der Beliebigkeit des Massengeschmacks.

Wir haben nun einen Publikationsbetrieb, textliche Produktionsstätten, die herausgefordert sind von den technischen Möglichkeiten, von der Demokratisierung des Publizierens. Sie müssen ihre Legitimation nachweisen, die Qualität sichern bzw. erstmal wirklich schaffen und neue Geschäftsmodelle wagen. Tun sie aber nicht. Statt dessen werden retadierte Vorstellungen der Autorinnenschaft bedient, seltsame Solidaritätsformen eingefordert und aus dem handelnden Akt des Schreibens und Publizierens ein banales Handwerk wie jedes andere gemacht. Dass dadurch das Schaffen eines Textes entwertet und statt dem Blick für die Realität willkürliche Gestimmtheit, die sich in Nebensächlichkeiten verliert, befördert wird ist klar. Es handelt sich wohl auch um Besitzstandswahrung einer intellektuellen Kaste, die eigentlich von der selbsterlegten Vorstellung lebt den Menschen bei der Betrachtung der Welt helfen zu müssen. Dass mit dieser Position auch Verantwortung einhergeht, die über das geistige Bewegen in den bekannten Bahnen hinaus geht, scheinen viele in ihrer saturierten Lage vergessen zu haben. Das Privileg der Autorin eine Stimme zu haben bedeutet auch die Gefahr des Verrufs in Kauf zu nehmen für das Aussprechen unbequemer und ungefälliger Worte.

Und zu diesen ungefälligen Worten gehört auch die Erkenntnis, dass das Internet und die ihm zu Grunde liegende Struktur für die strenge Umsetzung des jetzigen Urheberrechts einen umfassenden Kontrollapparat benötigen, der die Nutzerinnen in ihrem Nutzerinnenverhalten überwacht und die durch das Netz fliegenden Datenpakete auf ihren Inhalt untersucht. Das abzulehnen ist in meinen Augen selbstverständlich. Aber ein Verzagen ob dieser Tatsache ist nicht geboten. Denn die Probleme und Lösungen sind leicht zu benennen: Bezahlmöglichkeiten erleichtern, legale Angebote schaffen und Verstöße gegen Urheberrechte nicht mit Körperverletzung gleichsetzen und die Abmahnindustrie eindämmen. Generell fehlt ein allgemeines Bewusstsein für den Respekt vor Publikationen. Ironischer Weise besonders von Seiten der hiesigen Industrie. Da werden Texte kommerziell verwendet ohne die Urheber auch nur zu fragen – und im nächsten Moment wird gegen Reformen im Urheberrecht gewettert. Da werden Stimmen wie Wegwerfartikel behandelt und gleichzeitig der Untergang der Demokratie beschworen. Die Wertschätzung der Autorin, auch monetär, so notwendig sie auch ist, darf nicht auf Kosten von Grundrechten oder in der Gier der Industrie verloren gehen. Das Ausmaß kapitalistischer Kritik und der Frage, inwiefern der Markt mit der Auswahl der gefälligen Autorinnen sich vor der Kritik an sich schützt, ist ein anderes Thema. Ebenso die gesellschaftliche Befähigung die neuen Publikationsmöglichkeiten zu nutzen. Dennoch soll nicht unerwähnt bleiben, dass es sich als Problem herausstellt, dass heutige Publikationen meist einen Mainstream bedienen sollen, der ihnen die kritische Stimme nimmt. Ein Teufelskreis der sich schon bei vielen Denkerinnen findet – denn die Kritik an der Kulturindustrie ist nicht neu, aber im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland verloren gegangen. Das mag vielleicht daran liegen, dass jede deutlich linke Position einer kruden Vorstellung von Extremismus geopfert wird, entsprechende Autorinnen umgehend in die Kategorie “Stalinspinnerin” gesteckt werden und der Raum für eine Kritik an den gegenwärtigen Umständen – besonders für Autorinnen – nicht geöffnet wird. Statt dessen wird die Schuld auf die technischen Veränderungen und das Nutzerinnenverhalten abgewälzt, auch wenn mittlerweile umfassend nachgewiesen wurde, dass Filesharerinnen mehr Geld für Kunst und Kultur ausgeben. Statt die neuen Möglichkeiten jedoch zu nutzen, lebt die deutsche Textproduktion in einer Schockstarre, in der sogar eine Pay-Wall von der in San Francisco geläuterten Chefredakteurin der Springer-Publikation, deren Namen ich nicht nennen möchte, progressiv wirkt. Ein Elend!

Auch darf nicht vergessen werden, dass es einen öffentlich-rechtlichen Raum im Netz braucht, der Kunst und Kultur einer breiten Masse kostenlos zugängig macht. Google und Facebook privatisieren zur Zeit massenhaft Allmende, weil die staatlich verfasste Gesellschaft für die Digitalisierung ihres Kulturgutes kein Geld ausgeben möchte. Auf Dauer schadet das uns allen und verstößt dem Verfassungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Den Ruf des Landes der Dichterinnen und Denkerinnen haben wir aus einer Zeit, in der Publikationen für wenig Geld und Aufwand vielen Menschen zugänglich war, wo es keine restriktiven Formen des Urheberrechts gab. Dass wir heute die Welt voller Dichterinnen und Denkerinnen schaffen können scheint jedoch nicht relevant zu sein – es sei denn, wenn eine verschrobener Utopistin doch mal auf den letzten Seiten des Feuilletons schreiben darf.

Was bleibt nun?

Die Autorin als Instanz verändert sich, Texte werden zugänglicher und mehr, die Gesellschaft verändert sich in einem Maße, wie wir es selbst nicht begreifen. Aber selten war es so einfach für Menschen eine Stimme im bedeutungsschwangeren Feuilletondunst zu erlangen – unabhängig von Kontakten und Status. Dass das Probleme mit sich bringt, ist klar. Im Moment überwiegt die Angst noch. Jedoch braucht es kritische Autorinnen, die sich trotz allem dem Status Quo entgegenstellen. In diesem Sinne “Die Autorin ist tot, es lebe die Autorin!”