Dieser Text basiert auf einem Text, der in dem Sammelband „Blackbox Urheberrecht“ erschienen ist.
In der Debatte um eine Reform des Urheberrechts wird hart gekämpft. Wie könnte es auch anders sein, schließlich geht es um nichts weniger als Kunst, Kultur und Geld. Auch wenn um viel anderes gesprochen wird. Im Zuge der Debatte wird dabei ein Thema selten berührt: Die gesellschaftliche Funktion von Kunst. Der folgende Text soll ein kleiner, kämpferischer Anfang sein, dies zu ändern.
In der Debatte rund um das Urheberrecht sind generell einige Aspekte oder auch Texte vernachlässigt worden. So zum Beispiel der Kunstwerkaufsatz von Walter Benjamin aus dem Jahr 1936. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (Verwendete Ausgabe: Reclam, 1989). Schon der Titel dieses mittlerweile fast 77 Jahre alten Essays lässt vermuten, dass Benjamins Überlegungen fruchtbar gemacht werden können – und an dieser Stelle im Rahmen der Möglichkeiten sollen – für die verschiedenen Aspekte der Urheberrechtsdebatte.
Scheinbar unversöhnlich stehen sich die Positionen gegenüber. Worum die Debatte in erster Linie kreist: Geld, Anerkennung, neue Technologien, radikale Forderungen. Die deutschen Urheber taten sich im Frühjahr 2012 unter Regie einer Berliner Literaturagentur zusammen und erklärten in pathetischem Ton “Wir sind die Urheber!”[1] – fast so, als gelte es, einen unmenschlichen Staat zu stürzen. Auf der anderen Seite die “jungen Wilden”, seit den späten 2000ern auch unter dem Begriff “Piraten”(unabhängig von der Partei!) bekannt, die für unbeschränkten Zugang zu Wissen kämpfen, als ginge es um den Kampf gegen eine Todesschwadron.
Und mittendrin Künstler*innen, die sagen, dass es bei Kunst darum ginge, Geld zu machen. So wie Jan Delay in einem Spiegel-Interview im April vergangenen Jahres.[2] Eine gesellschaftskritische Komponente von Kunst wird hierbei nicht nur ignoriert, sondern negiert. Ein freier Zugang zu Kunst und Kultur als gesellschaftspolitischer Aspekt wird nicht wirklich in Betracht gezogen. Das Kunstwerk wird dagegen reduziert auf seinen Nutzwert; außer ein Verkaufsgegenstand ist es nichts. Ein Kunstwerk ist nach dieser Logik das Gleiche wie ein Joghurtbecher. Dieser Vorstellung soll im Folgenden kritisch nachgegangen werden.
Benjamins Essay lässt meiner Meinung nach Raum für Überlegungen, inwiefern Kunst (also Kunstwerk und Künstler*innen) stattdessen als politischer Parameter in unserer digital-modernen Gesellschaft notwendig ist. Er analysiert nicht nur die technische Veränderung der Produktion, sondern blickt auch auf die gesellschaftspolitischen Implikationen, die diesem Wandel folgen. Auch deswegen gilt sein Essay als Teil des Kanons der politischen Theorie und wird hier als Inspiration für eine Teilbetrachtung der Debatte um das Urheberrecht herangezogen. Die Frage, welche Rolle Kunst in einer Gesellschaft nach den Umwälzungen der Moderne hat, ist zentral. Und auch wenn es sich bei Benjamin um eine andere Zeit und im Wesentlichen um die Analyse des Films und der Fotografie handelt, so findet sich doch in diesem kurzen und intensiven Essay ein mannigfaltiger Strauß an Ideen für die Funktion und Rolle von Kunst in der digital-modernen Gesellschaft. Um so mehr verwundert es, dass diese Ideen des wohlbekannten Essays nicht auf die Debatten der letzten Monate um das Urheberrecht angewandt wurden. Auch verwundert es, dass die offensichtliche Reduktion der Kunst auf verkaufbares Entertainment kaum Widerspruch erntet.
Die Entwicklung des Kunstwerkes zur Ware ist, nach Benjamin, ein wesentliches Kennzeichen der modernen, kapitalistischen Veränderungen – der Kultwert, wonach das Kunstwerk ein Teil eines Rituals ist und eine gruppenspezifische Narrative begleitet, verliert sukzessive seine Bedeutung. Der Ausstellungswert wird relevant, der aus der “Emanzipation der einzelnen Kunstübungen aus dem Schoß des Rituals” wächst und das Kunstwerk letztlich zum Produkt macht. Das schließlich behindert “eine revolutionäre Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen, ja an der Eigentumsordnung.”[3]
Doch inwiefern braucht es eine künstlerisch-rituelle Narration in einer digital-modernen Gesellschaft, und was sagt es über die Debatte um das Urheberrecht aus, wenn Künstler*innen sich lediglich auf das Kunstwerk als Verkaufsgegenstand verständigen, die modernen Entwicklungen also kritiklos umarmen können?
Meine eigene Kritik an solch einer Reduktion des Kunstwerkes auf ein Verkaufsgut wurde mit dem Schlagwort “Künstlerhass” quittiert.[4] Das Diktum, dass Kunstwerke lediglich zum Geld verdienen existieren, steht irgendwie unhinterfragt, von allen Seiten scheinbar akzeptiert im Raum.
Dabei führt L’art pour l’argent (also Kunst um des Geldes Willen) unweigerlich zu einer direkten Anpassung an den Geschmack der Mehrheitsgesellschaft, ordnet sich ihr unter, reproduziert sie und verfestigt so die bestehenden Verhältnisse, seien sie noch so ungerecht. Die Vorstellung des Künstlertums einzig als Geldquelle reduziert die Kunst nicht nur auf eine ausweglose Rolle als Entertainment, als Marionette des unterhaltungsgierigen Publikums, sondern impliziert auch die Forderung nach einer radikalen Ignoranz jeglicher Kunst gegenüber der Gesellschaft. Ein altes Problem:
“Das ist offenbar die Vollendung des l’art pour l’art [Anmer. Kunst um der Kunst willen]. Die Menschheit, die einst bei Homer ein Schauobjekt für die Olympischen Götter war, ist es nun für sich selbst geworden. Ihre Selbstentfremdung hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben lässt. So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit der Politisierung der Kunst.” [5]
Die Überlegungen dieses Beitrags knüpfen daran an: Ein Kunstwerk kann der Versuch sein, eine Gedankenwelt zu erfassen und darzustellen, zugänglich zu machen. Weniger wichtig ist dabei das Medium als der Versuch, eine Tür zu einer Welt zu öffnen, die bis dahin unbekannt war. Das kann in Form eines tausendseitigen Romans von Literaturnobelpreisträger*innen passieren, oder in einem schnell getippten Tweet, vielleicht einem kurzen YouTube-Video, geschaffen von Menschen, die sich niemals selbst als Künstler*innen verstehen würden. Es geht vielmehr um das Erweitern des Horizonts, um das Einlassen auf ein Denken, das vielleicht vorher sehr weit weg schien. So können sich Räume bilden für Kritik an den bestehenden Verhältnissen. Spielerische Räume, die nicht die gleiche Bedrohung entfalten wie eine unverblümte Kritik an den eigenen Gewohnheiten in eben jenen Verhältnissen. Kunst kann es schaffen, viele Menschen zum Nachdenken zu bringen, ihre Lebenswirklichkeit zu hinterfragen, ohne sie unmittelbar der Verzweiflung auszusetzen. Kunst sollte die Reflektion einer Gesellschaft über sich selbst sein: Der Versuch, die Absurditäten und falschen Entscheidungen auf einer kollektiven Ebene einzufangen und verständlich zu vermitteln. Kunst muss mehr als Ware sein, Kunst kann die Kraft der Veränderung sein, der Motor für gesellschaftlichen Fortschritt. So verstandene Kunst ist damit eine Voraussetzung für eine positive gesellschaftliche Veränderung. Kunst kann die Ritualisierung von gesellschaftlicher Kritik sein, unabhängig von dem gesellschaftlichen Status der Künstler*innen oder ihrer Bezahlung. Die Ablehnung einer solch revolutionären Kraft ist die Apotheose der eigenen Position.
L’art pour l’argent ist zudem ein zutiefst narzisstisches und unpolitisches Konzept, ein Karriereweg, der gar eine neue Schicht der Aristokratie erschaffen hat. Aus der Vermarktung von Kunstprodukten werden ab und an ganze Imperien, die massentaugliche Produkte verkaufen und so mehrfache Millionär*innen hervorbringen, mit entsprechendem politischen Einfluss. Ein gutes Beispiel sind die engen Verbindungen zwischen Hollywood und dem Weißen Haus – exemplarisch bei den Oscars im Jahr 2013, als die First Lady dem völlig unkritischen Film “Argo” den Oscar für den besten Film des Jahres überreichte. Im Nachgang wurde mehrfach auf die Freundschaft zwischen den Filmemachern Clooney/Affleck und den Obamas hingewiesen. Doch diese Entertainment-Aristokratie schert sich nicht oder kaum um den Zustand der Gesellschaft, um die Ungerechtigkeiten und diejenigen, die unter ihnen leiden. Und wenn sie sich schert, dann nur oberflächlich, sodass an den eigentlichen Machtverhältnissen nicht gerüttelt wird. Damit ist das Produzieren dieser Form der Unterhaltung, die immer noch unter dem Begriff Kunst gefasst wird, letztlich nur opportunistisch und ignorant.
Und nicht nur das: Unpolitische Kunst fördert die Ästhetisierung der Politik, denn sie vermeidet eine Haltung und gibt sich dem Schein einer neutralen Ästhetik hin, die auch in der Politik angewandt werden kann und wird. Benjamin findet für die Ästhetisierung der Politik – wie wir sie bis heute in den Massenmedien und großen Parteitagszeremonien noch beobachten – klare Worte: “Alle Bemühungen um die Ästhetisierung der Politik gipfeln in einem Punkt. Dieser eine Punkt ist der Krieg.”[6]
Zieht man nun die Urfaschismusdefinition Ecos [7] heran, lässt sich polemisch zuspitzen, dass Kunst, die sich einer kritischen Betrachtung der Gesellschaft verweigert, dem Urfaschismus dient, denn sie dreht sich ausschließlich um sich selbst. Sie lässt denjenigen Raum, die über Ressourcen und die Gestaltung der Welt, die Eigentumsordnung verfügen. Sie lässt den Kapitalismus, Nationalismus und Sozialdarwinismus unbegrenzt sein.
Benjamin schreibt, dass der Kommunismus dem Faschismus, der die Ästhetisierung der Politik betreibe, die Politisierung der Kunst entgegensetzt. Diese Zeilen wirken inmitten der analytischen Präzision hoffnungsvoll: die neuen technischen Möglichkeiten vermögen den Zugang zu und die Verbreitung von Wissen vereinen. Sie versprechen diffus, dass das Projekt Aufklärung vielleicht doch noch erfolgreich beendet werden kann. Und dass das (politische) Kunstwerk ein wesentliches Element sein kann, um den Faschismus einzudämmen. 1936, so scheint es, war dies eine nachvollziehbare Hoffnung. Im Jahr 2013 scheint dieser Blick auf die Blockade des Faschismus ver-rückt, seltsam und verschroben. Nicht zuletzt, weil sich der real existierende Kommunismus als Farce herausgestellt hat und ein neuer Faschismus nicht am Horizont erkennbar zu sein scheint. Dennoch sind soziale Missstände, eine einseitige Eigentumsordnung, Sklaverei, Gewalt und Ausbeutung eine globale Realität. Ein kritisches Künstlertum, welches sich den Tendenzen seit dem Ende der Blockkonfrontation annimmt, welches sich einem kreativem Kampf gegen die globale Menschenverachtung widmet, wäre da durchaus zu begrüßen. Das gilt auch für Feuilletonist*innen. Sonst wird aus dem Ende der Geschichte deren Stagnation, in der die ehrliche Auseinandersetzung mit kritischen Denker*innen und Kunst der Nostalgie geopfert wird.
Was uns die digitalen Entwicklungen lehren ist, dass jeder Mensch Kunst produzieren kann, manchmal ganz unintendiert. Gedacht mit Benjamin heißt das auch, dass jeder Mensch in der Lage ist Kritik zu üben, sich aufzulehnen gegen das Bestehende. Theoretisch und technisch sind wir also der Vollendung des Projekts Aufklärung tatsächlich ein wenig näher. Dieser Beitrag ist deswegen ein Versuch die bisherigen Deutungen über Kunst zu erweitern und zu kritisieren, diejenigen, die wir als Künstler*innen in unserer Gesellschaft verstehen, daran zu erinnern, dass Kunst mehr als ein Jogurtbecher ist. Insgesamt würde es der Debatte nämlich gut tun, wenn diejenigen, die diese Deutungshoheit inne haben sich nicht stumpf auf Besitzstandswahrung konzentrieren, sondern eine gesellschaftliche Verantwortung akzeptieren.
Fußnoten
1 Webseite: Wir sind die Urheber! Stand: 12. März 2012.
2 Vgl. Thomas Hüetlin und Philipp Oehmke: Abschalten, Digger. Der Spiegel. 16.4.2012.
3 Walter Benjamin, Kunstwerkaufsatz, S. 35.
4 Vgl. Melanie Mühl: Piratin Julia Schramm. Wahlkampf einer digitalen Seele. Frankfurter Allgemeine Zeitung. 26.04.2012.
5 Walter Benjamin, Kunstwerkaufsatz, S. 55.
6 Walter Benjamin, Kunstwerkaufsatz, S. 54.
7 Umberto Eco: Urfaschismus. Seite 4/6. Die Zeit. 07.07.1995.