The second part of my travel report on the US. My poor translation here: http://juliaschramm.de/translationusa2/
Seattle. Endlich. Ich werde abgeholt. Mit dem Auto. Zum Glück. Die Tränen sind getrocknet, das von der TSA durchwühlte Gepäck eingesammelt und das freie W-Lan gefunden. Seattle ist trocken, sonnig und durchaus anders, als das, was ich von der Ostküste nun kenne. Weiter, flacher, irgendwie verträumter. Bei der Rundreise durch das EMP-Museum, der Betrachtung des offensichtlichen Reichtums der Stadt (Microsoft, Amazon, Starbucks, Boeing sind hier u.a. ansässig) und der rauhen Landschaft verstehe ich besser und eindringlicher, wie Grunge entstehen konnte. Irgendwo zwischen Mittelschicht und Freiheitsdrang, zwischen offenem Erfindergeist und karierter Spießigkeit.
Wir fahren mit der Fähre, haben Spass bei einer Weinprobe und abends gucken wir die Oscars. Das erste Mal in meinem Leben, dass ich sie einfach so gucken kann, ohne extra aufzustehen. Die Freude ist letztlich so groß wie die Enttäuschung über einen Moderator, der die große Geste des Moderierens zu karikieren versucht und dabei selbst zur Karikatur eines alten, gönnerhaften Weiß-Amerikaners wird, der sich über Diskriminierung anderer definiert. Dass Quentin Tarantino den Oscar für sein Drehbuch zu Django Unchained bekam, fand ich nur richtig: Wer es schafft eine deutsche Heldensaga mit zwei Sklaven im Süden der USA kurz vor dem Bürgerkrieg authetnisch nachzuerzählen, kann durchaus gewinnen. Dass die Veranstalter seinen Sieg mit der Vom Winde verweht – Melodie untermalen zeigt mir nur, wie kaputt Hollywood ist. Dass Hollywood auch noch dreckig und komisch ist, würde ich ja auch bald rausfinden. Weiteres zur Oscarnacht: Siehe The Atlantic und Vulture
Das Fernsehenprogramm sagt einiges über ein Land aus. Als bekennender Fan US-amerikanischer Serien habe ich bisher jedoch noch nie wirklich US-amerikanisches Fernsehen geschaut. Also ließ ich mich ein auf das Abenteuer ein. Und es ist wirklich Atem beraubend. Die Inhaltsentitäten sind un-fassbar kurz, es ist unruhig, nichts bleibt, keine Idee wird ausformuliert, Werbung drängelt sich in jeder Sekunde vor jeden auch nur angesetzten Gedanken. Und so stelle ich zur Mitte meiner Reise fest, wie verrückt dieses Land ist. So groß, so albern, so unendlich in Möglichkeiten, Ideen, Wahrheiten. Weit und grenzenlos.
Vom eigenen Pathos etwas beschwippst setze ich mich in den Zug. 24 Stunden geht es die Westküste runter nach San Francisco. Sie haben mir freies W-Lan versprochen. Ich wage den Schritt und lasse mich auf viele Stunden Oregon ein.
Nach vielen Gesprächen mit unterschiedlichsten Zugfahrenden (Das R in Amtrak steht für retiree) und den aberwitzigsten Geschichten über Odyseen durch das Land, horrende Studiengebühren und seltsamen Mundkrankheiten, erreiche ich (immer noch im Zug) schließlich Kalifornien und werde erschlagen von der Schönheit und versuche im Zug etwas davon festzuhalten.
Kalifornien ist atemberaubend schön. Das Klima ist nahezu perfekt und die Landschaft eine Umarmung. Ich verstehe, wieso die Menschen hier leben wollen. Ich erreiche San Francisco. Die Sonne scheint, es ist leicht nebelig und es hat ungefähr 15°- ich verliere hier uns jetzt mein Herz an das Klima. Doch der Übermut fehlt, vielleicht liegt es an den anstrengende Tagen, an der unbequemen Nacht auf einem unangenehm riechenden Zugsitz oder vielleicht habe ich aus den Erfahrungen in New York gelernt, fürchte mich vor dem amerikanischen Traum, vor seinen Abgründen. Und irgendwie spüre ich, dass die Abgründe in San Francisco tief sind. Ich laufe durch die wippenden Straßen, betrachte die pastell farbenen Häuser und suche Wege an den Strand, ans Meer, nachdem ich mich zutiefst sehne. Es ist kühl, die Sonne scheint durch den trüben Himmel, die Golden Gate Bridge ragt in den Nebel hinein. Es ist die erste Zeit, die ich alleine sein kann auf meiner Reise. Zeit, in der ich reflektieren und sinnieren kann. Etwas verloren fahre ich mit der 38 über die Geary Street quer durch San Francisco und erfreue mich an den kreativen Essensfusionen. Was als Gesellschaft versagte, funktioniert in der Essenskultur phänomenal: Das wilde Zusammenwerfen, ohne Regeln, ohne Hierarchien; das Herauspicken, Kombinieren und Optimieren der besten Ingredienten. Der Meltin‘ Pot funktioniert in der Küche immer noch ausgezeichnet. Und so darf ich mich im Laufe meiner Reise an Wasabi-Avocado-Creme erfreuen, Mangosalsa, Kimchi-Quesedillas, mit Bretzel befüllte m&m’s, Gorgonzola mit dunkler Schokolade, perfekte Cupcakes (Magnolia’s in NYC und BigManBakes in L.A.), einen noch viel perfekteren New York Cheescake (s.u. Ferrara Bakery, NY), mit Wassermelone gefüllte Dumplings, Butterscotchcream Eis, Eggs Benedict Crab Cake, den perfekten French Toast mit Pekannüssen, Avocadosalat mit Gorgonzola, Cookiebutter, Vanille-Himbeer-Cashewkerne und vieles mehr, was mich verzückt. (Von Gatorade-Tequila und Selleriesaft rate ich dagegen ab.) Die Eigenart sich das Beste aus dem Bekannten zu nehmen, es zu optimieren und das Ganze dem Ziel der Verbesserung unterzuordnen ist eine zutiefst neoliberale Idee, die in die Küche gehört. Denn da ist sie bestens aufgehoben.
Meine Gedanken kann ich zwischenzeitig auch in Deutsch formulieren, denn ich treffe @jbenno in San Francisco in einer Bäckerei. Es ist ein äußerst nettes Treffen und ich verbinde es mit einem besuch im Hackspace Noisebridge, der mir wärmsten empfohlen wurde. Ich werde nett willkommen geheißen, herumgeführt und mit der CCC-Flagge an der Wand vertraut gemacht. Schnell unterhalte ich mich mit denen, die eine ähnliche Passion für Politik haben wie ich. Der weiträumige Raum ist schmutzig, voller Ecken mit Spiel- und Hackzeug. Ich kenne es, ich fühle mich wohl. Die Gespräche sind geprägt von der Desillusionierung der Diskutanten, von Arbeits- und Obdachlosigkeit. San Francisco gehört zu den teuersten Städten der USA. Eine der reichsten und gleichzeitig voller Armut. Ganze Straßenzüge sind dominiert von Obdachlosigkeit, Armut und Verzweiflung. Die Armut schockiert mich zutiefst. Nicht, weil sie so allgegenwärtig wäre. Im Gegenteil. Sie ist komplett vermeidbar, ignorierbar. Dennoch definiert sie die großen Städten. Die Obdachlosigkeit ist so präsent wie der unverschämte Reichtum. Überall auf den Straßen von New York, Seattle, Philadelphia und San Francisco werden Taschen ausgeführt, die den Wert von Kleinwagen haben. Gleichzeitig blitzen an jeder Straßenecke die verzweifelten Mittellosen auf, deren Leben in einem Einkaufswagen stattfindet.
Basieren tut das alles auf dem Glauben, dass sich harte Arbeit auszahlt. Dass es Menschen gibt, die drei Jobs haben und in einem Zelt schlafen ist für viele Amerikaner kein Grund für Widerstand oder auch nur Kritik an irgendetwas – sind die Jobs halt zu schlecht bezahlt. Such‘ dir andere. Oder werde Rich Kid on Instagram. Heute: Tochter eines Typen, der seine Kohle bei Barclays machte.
“The people are desperate. And they start getting mean. And bitter.” So formuliert es die schreiend hübsche Rentnerin neben mir im Bus auf meinem Weg nach Los Angeles. Und ich muss zumindest zugeben, dass von der Lebensfreude, die mir als inhärentes merkmal Kaliforniens gepriesen wurde nicht viel erlebt habe. Im Gegenteil. Mean and bitter. Trotz der trüben Gedanken, die doch nur das sind, was ich in all den Büchern über die Lüge des amerikanischen Traums bereits gelesen hatte. Und ich bin schließlich erst auf dem Weg zum Endgegner: Los Angeles.