Wie letzte Woche angekündigt wird ein Teil meines Buches „Klick mich“ hier im Blog frei verfügbar sein. Diesmal mit dem Kapitel zu Freundschaft. Die Kommentarfunktion schließe ich diesmal. Bitte seht es mir nach. Nächste Woche gibt es dann noch eins. Und dann noch eins. Und noch eins 🙂 Jedes Kapitel hat ein tl;dr – es gehört also ganz normal zum Buch. Viel Spaß!
Digitale Freunde sind pflegeleicht
tl;dr: Nicht das Internet macht einsam, sondern ich bin im Internet, weil ich einsam bin. Und nicht das Internet pflegt oder beendet eine Freundschaft, Freunde tun das, denn Freundschaft ist unabhängig vom Medium. Übrigens: Daten-Exhibitionisten können auch ohne Facebook glücklich werden. {{Kommentar Stephan Urbach: Übrigens: Auch datensparsame Menschen können ohne Facebook glücklich werden.}}
Ja, ich habe mich bei Facebook gelöscht. Ja, ich habe mich mit meinem ganzen Leben, den Freunden, die eigentlich nie welche waren, und allem Angenehmen gelöscht. Meine Facebook-Identität vernichtet. Mich vom sozialen Druck der Bildmarkierung und Beziehungsstatusangabe gelöst. Emanzipiert. Ich biete dem Mainstream die Stirn. Versage mich der bunten Timeline und dem Zwang zu Netzwerken. Ein paar Mal noch öffne ich aus reiner Gewohnheit ein Tab im Browser und tippe fac ein, bevor ich realisiere, dass meine Zeit auf dieser Plattform beendet ist.
Mein Abschied von Facebook hat verschiedene Gründe. Neben der Tatsache, dass mir das Unternehmen Facebook zunehmend Angst macht, weil es alles über mich sammelt (und zwar so, dass ich nicht nachvollziehen kann, was sie wie haben und an wen sie es weitergeben), habe ich mich geirrt in seiner Bedeutung für mein Leben. Ja, ich liebe es, mich im Internet zu präsentieren und meine kleinen neurotischen Anfälle akribisch zu dokumentieren. Ich trete gerne in Kontakt mit Fremden und offenbare mich. Das geht aber nur, weil mich diese Menschen nicht persönlich kennen, weil ich mit einer anonymen Masse spreche. In der anonymen Masse gebe ich mir mit der Selbstoffenbarung die Bestätigung, lebendig zu sein, doch bei Facebook spiegele ich mich in erster Linie in den Menschen, die ich kenne, mit denen ich verschiedene Episoden in meinem Leben verbinde. Abgeschlossene Episoden. Im ersten Moment freue ich mich, die Gesichter alter Freunde auf Facebook wiederzuerkennen, frage mich, wo sie leben, was sie tun. Wir baden dann in Sentimentalitäten, die der Realität nicht entsprechen, so wie romantische Bilder in Magazinen Gefühle über Gefühle auslösen, die niemals gefühlt werden. Ich übertrage meine Gegenwart in meine Vergangenheit, die sich geschlossen in einem Raum befindet wie eine große Clique, die ich eigentlich nie hatte. Meine Freunde kennen sich ja kaum untereinander! Facebook jedoch ist wie ein Geisterschulhof, der dir im Traum begegnet. Bei Facebook sind immer alle da. Das ist anstrengend. Genauso wie der Versuch, die Gewissheit zu verschleiern, nur sich selbst zu haben. Denn Freundschaft ist eine Gemeinschaft der einsamen Geister, sie findet statt in dem Glauben an die Großartigkeit des Gegenübers. Jedes Medium ist grundsätzlich in der Lage, Freundschaft zu transportieren, die Sprache zu übermitteln.
Eine Zeit lang dachte ich, dass Facebook mir helfen würde, meine Vergangenheit und die Menschen darin zu erleben, besser mit ihnen verbunden zu sein. Aber das stimmt nicht: bei Facebook bestrahle ich sie vielmehr mit meinem Leben, das ich für die kleinen, begrenzten Statusnachrichten aufarbeite.
Und Menschen, die du bereits kennst, werden durch ihre Statusnachrichten bei Facebook nicht unbedingt interessanter. Schlimmer noch: meistens liest du plötzlich die politische Meinung von jemandem, mit dem du bisher ungezwungen Spaß hattest beziehungsweise glaubtest, diesen gehabt zu haben. Niemals wollte ich wissen, dass meine gute Freundin aus der Schule zu Guttenberg mag. Wir haben uns damals nur über Jungs unterhalten, aber dass sie Sozialhilfe abschaffen will, lässt mich an der Vergangenheit zweifeln und an meiner Menschenkenntnis. Es ist mir unangenehm. Ich möchte das nicht lesen, sehen, wissen- und das, obwohl es in unserer kulturellen Kodierung liegt, dass wir gerne viele Freunde haben. Große Cliquen sind ein Statussymbol, Netzwerker gelten als erfolgreicher. Die sozialen Netzwerke entsprechend zu bauen und mit Freundschaft zu assoziieren, ist maßgeblich geworden für das, was man heute Erfolg nennt. Freunde sammeln, archivieren, beobachten, vorzeigen. Ein virtuelles Poesiealbum.
Es ist Selbstbetrug, sich einzureden, nicht alleine zu sein, schießt es mir durch den Kopf. Freundschaft ist der lebenslange Versuch, eine Gemeinschaft zu schaffen, eine Gemeinschaft des Denkens und Lachens, des Redens und Schweigens, eine Gemeinschaft des Geistes. Maya und ich machen es uns nicht leicht. Seit Jahren sind wir befreundet, offline und online. Der Spiegel, den sie mir vorhält, blendet und schmerzt und ist manchmal schwer zu ertragen. Und doch setze ich mich dem aus, auch um mich selbst in ihr zu erkennen.
Ihre Ignoranz gegenüber den Problemen dieser Welt belastet mich so sehr, wie sie mich verführt. Mit ihr kann ich meinen Weltschmerz vergessen, in der Verzweiflung über die Welt als ewiges Hamsterrad erscheint die Flucht in die Subjektivität charmant, ja verwegen. Wer traut sich denn schon zu sagen, dass die anderen Menschen irrelevant für die eigene Lebensplanung sind? Maya traut sich das – auf ihre naive und trotzige Art, die Welt gerade nicht zu verstehen. Sie versteckt sich hinter Kaschmirpullovern und Opernbesuchen (obwohl sie von Oper keine Ahnung hat), die ihr eine seltsame Sicherheit geben, so in der Welt zu leben, wie es ihr richtig erscheint: frei und selbstsüchtig. Auf die Bewunderung folgt jedes Mal der Moment der Ernüchterung, in dem mir die Tatsache, dass dieser Strudel der Ignoranz mich packen konnte, wie eine Bankrotterklärung meines Geistes vorkommt. Dann beginnt die Entfremdung von Maya und ich krame mein idealistisches Ich wieder hervor und greife sie an. An diesem Punkt wird das Internet regelrecht zum Feind unserer Freundschaft, weil digitale Kommunikation, das, was wir ohnehin schon schwer ausdrücken können, oft zusätzlich und unnötig verzerrt. Manchmal sitze ich vor dem Bildschirm und schreie laut angesichts dessen, was Maya mir abermals um die Ohren tippt. In das Fenster des Chats schreibe ich jedoch einen Satz, der mich abgebrüht wirken lässt, versehen mit einem grinsenden Smiley 😉 – kein Smiley provoziert stärker durch seine Selbstherrlichkeit. Kein Smiley täuscht Desinteresse besser vor. Kein Smiley drückt unsere zwanghafte Ironie besser aus. Nichts ist so gemeint, wie es geschrieben wurde. An alles kommt der alles relativierende Smiley. An alles. Mit diesem Smiley mache ich mich unangreifbar, ich stelle alles infrage, meine nichts so, wie ich es sage. Dieser Smiley ist mein Schutzschild, hinter dem ich alles sagen kann, was mich umtreibt: jede Bösartigkeit, jede Frechheit, alles Verletzende. Ich kann all das sagen, was ich mich ohne Smiley nicht traue. Und dank Smiley merkt mein Gegenüber nichts von meinem emotionalen Ausbruch, sondern liest nur einen Satz, der ebenso cool wie verletzend gedacht ist und an dessen Ende dieser hochnäsige Smiley steht.
Habe ich anschließend erreicht, was ich wollte – Maya lässt nun ihrer Cholerik freien Lauf –, sitze ich mit einem strammen Hauch der Genugtuung vor den wild auf meinem Bildschirm aufspringenden Buchstaben. Wird es mir zu viel, klappe ich den Laptop einfach zu und stelle mir die tobende Maya in einem Käfig vor, denn ihre Wut kann mich nicht von Angesicht zu Angesicht erreichen. Dass sie mich dennoch immer trifft, muss sie ja nicht wissen.
Dass eine Freundschaft im Netz durchaus funktionieren kann, beweist meine rein digitale Freundschaft mit Junto. Ich lernte den Internet-Aktivisten aus dem Nahen Osten bei einem von Mortensens IRC-Chats kennen. Mortensen, der Junto auch nur über das Netz kannte, hatte schon viel von ihm berichtet, und so fiel mir der Name in der Liste der Chatteilnehmer sofort auf. Wir merkten schnell, dass wir uns viel zu sagen hatten. Wir diskutieren vor allem über Politik. Mit jedem Gespräch wächst unsere Vertrautheit. {{Kommentar Stephan Urbach: Im Laufe meines Aktivistenlebens habe ich viele Menschen im IRC oder über andere Plattformen kennengelernt. Ich habe Freunde in Syrien, die gegen das Assad-Regime kämpfen, die in einen Bürgerkrieg geraten sind. Junge Menschen, 20, 21 Jahre alt. Studierende. Ich kenne ihre Familiengeschichte, ihre Hobbys, Träume. Wir verabschieden uns aus den gemeinsamen Gesprächen immer mit „Let‘s meet in better times.“ Mittlerweile sind fast alle tot. Keiner von Ihnen hat es bisher nach Deutschland geschafft.}}Wenn wir chatten, ist es, als sähen wir uns in die Augen. Und obwohl ich Junto noch nie in die Augen geguckt habe, vertraue ich ihm, mag ihn und, ja, wertschätze ihn als den Menschen, der er ist. Ich habe gar nicht das Bedürfnis, ihn persönlich zu treffen, so gut kenne ich ihn. Ich fühle mich eher wie ein Romantiker, der in der Ferne die Intensität verspürt. Wir haben eine Geschichte zusammen, wir haben Geheimnisse und ein ganzes Set an Humor und Themen. Das verbindet uns, auch wenn wir uns noch nie getroffen haben. Einmal war Junto in Deutschland. Aber ich habe ihn verpasst. Zum Glück.
Funktionierende digitale Freundschaften können miserabel werden, wenn die Körper zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind. Viel zu oft ist es mir schon passiert, dass ich darauf gepocht hatte, Menschen zu treffen, deren Internetart ich liebte, nur um anschließend zu merken, dass wir uns im echten Leben nichts zu sagen haben. Wo war der Charme, der Esprit, der Witz von @Mlle_Amalthea?
Stattdessen große, leere Augen, versiegelte Lippen und die Frage: Wie kannst du in 140 Zeichen so sprühend sein, wie du bist, wenn du doch so scheu bist, wie du bist?! {{Kommentar Claudia Schramm: Das passiert auch im „realen“ Leben: Wir projizieren in eine/einen Unbekannte/n all unsere Sehnsüchte und Wünsche und glauben daran, dass der oder diejenige so zu sein scheint, wie wir uns das wünschen.}}
Einvernehmlichkeit im Geiste kann leicht an den Körpern scheitern. Oder umgekehrt an der bloßen Reduktion auf den Geist. Junto und ich kommunizieren vor allem über das geschriebene Wort, das mittlerweile die gleiche Geschwindigkeit erreicht hat wie das gesprochene. Und so lerne ich auf eine neue Art Menschen kennen und lieben.
Digitale Freundschaft tippe ich in die Suchmaschine und hoffe auf clevere Artikel, die das Phänomen erläutern und Licht ins Dunkel der metamodernen Freundschaft bringen. Hilfreich erscheint mir das alles nicht. Freundschaft ist ein Konzept der Moderne, gebunden an alles, woran wir glauben: Gleichheit, Wahlfreiheit und Individualismus. Wir begegnen unseren Freunden auf Augenhöhe, dass sie einem Zweck dienen, ist verpönt. Unsere Freundschaften bestehen außerhalb unseres täglichen Tuns, wir sind nicht abhängig von unseren Freunden, die wir selbst wählen. Freunde sind die Familie, die wir uns selbst aussuchen; das Versprechen der Aufklärung ist die Freiheit, über unser Umfeld zu bestimmen. Freundschaft wird so zu dem
Ort, der vor der bösen Welt beschützt. Digitale Freundschaften sind anders und doch irgendwie gleichwertig. Jede Freundschaft hat ihre Sprache, ihre Form der Kommunikation. Chatten zerstört keine Freundschaft – Freunde tun das. Und Facebook erhält keine Freundschaft, Facebook stellt sie nur ins Schaufenster.