Ich bekam eine Anfrage, ob ich mich zu einem Artikel, der über mich geschrieben wurde, äußern wollen würde. Dieser Artikel hat an jeder Stelle das möglichst schlimmste und böseste aus meinen Aussagen interpretiert, was nur irgendwie geht. Aber naja, ich habe Aussagen getroffen, die waren provokativ und werden interpretiert. Dafür werde ich seit Wochen beschimpft und beleidigt. Aber zum Glück auch gelobt und verstanden! Danke an dieser Stelle. Anbei nun meine Antwort. Der Artikel ist an dieser Stelle irrelevant, da nur die gängigen Argumente und Buzzwords: Stalin, 1984, Totalitarismus, Hitler, Big Brother, etc. kommen und keine neuen Punkte erläutert werden. Zusätzlich wurden mir konkret Fragen gestellt, die ich in Gänze auch veröffentliche. Denn gerade die Fragen offenbaren interessante Interpretationsschlüsse. Doch lest selbst:
Sehr geehrter Herr XXX,
anbei nun mein Feedback:
Der Artikel ist leider sehr reißerisch und klischeebehaftet geschrieben. Es ist die gängige unreflektierte Kritik an einer Zustandsbeschreibung. So wird der Träger der Nachricht bekämpft und nicht der Inhalt der Nachricht. Aber die Aussagen wurden von mir so getroffen, entsprechend kann ich mich grundsätzlich nicht gegen die Interpretation meiner Worte aussprechen.
Zunächst dazu einige grundsätzliche Anmerkungen: Die Aussage „Privatsphäre ist sowas von eighties“ ist nicht umsonst mit einem (lacht) versehen. Auf eine lockere Art spiegele ich hier das Gefühl vieler Menschen wider, die Facebook und Co gerne und angstfrei nutzen, und vertrete dabei keinen normativen Anspruch. In erster Linie geht es darum den Ist-Zustand zu beschreiben und den Anspruch an ein freies Internet trotz dieser Probleme, die z.B. Facebook und Google aufwerfen, zu wahren. Es ist wesentlich, dass Transparenz hergestellt wird, sowohl in politischen, als auch wirtschaftlichen Bereichen, was die bisherigen Vorstellungen von Privatsphäre auf den Kopf stellt. Die Freiheit des Internet und das Gebot der Transparenz gehen Hand in Hand und müssen um jeden Preis verteidigt werden. Privatsphäre ist in diesem Zusammenhang nicht in der bisher bekannten Art aufrecht zu erhalten. Denn das politische Gebot der Transparenz konkordiert an dieser Stelle mit den althergebrachten Vorstellungen des Privaten. Das Internet ist viel mehr noch ein öffentlicher Raum, in dem der klassische Datenschutz nicht mehr umzusetzen ist.
Auch soll nicht das Individuum abgeschafft werden, sondern die Idee des Datenschutzes, also der Schutz des Individuums, neu gedacht werden. Der analoge Datenschutz ist veraltet und kann nur unter sehr repressiven Vorraussetzungen durchgesetzt werden. So hat der oberste Datenschützer bereits das Verbot von Gesichtserkennungssoftware angesprochen und auch andere Datenschützer wettern gegen die so genannte „Cloud“ und wollen diese am liebsten trocken legen. Parallel dazu versuchen andere Politiker anonymes surfen und das anonyme Nutzen des Netzes zu verhindern. Anonymität ist allerdings die einzige Möglichkeit ein Gegengewicht zur Entwicklung der Post-Privacy – auch wenn sie in Social Media nicht wirklich funktioniert.
Grundsätzlich gilt es zu verstehen, dass Post-Privacy ein diffuser Begriff, der in erster Linie eine Zustandsbeschreibung ist, jedoch viel mehr einen Diskurs meint. Einen Diskurs um die Fragen, die das Web aufwirft: Was tut es mit dem Menschen, seiner Wahrnehmung und seinem Leben? Was bedeutet Privatsphäre und wo kommt sie her? Ist sie dem Menschen inhärent?
Was nun die Vertreter der Post-Privacy von den bekannten Datenschützern unterscheidet ist in erster Linie die Bewertung der Veränderungen durch Technologie. Die Chancen sind immens und werden von unbestimmter Angst und Panikmache eingeschränkt. Dieser Denke einen Kontrapukt entgegenzusetzen ist Anliegen der Vertreter der Post-Privacy.
Anbei nun konkret die von ihnen verfassten Fragen:
Wie stehen Sie zu dem Vorwurf, sich eher an unbedarften Internetnutzer zu richten und wichtige Themen wie die komplette Durchleuchtung der Persönlichkeit und den damit einhergehenden Verlust an Freiheit bewusst auszublenden?
Der Diskurs ist in erster Linie an die Datenschützer gerichtet und nicht an den gemeinen User. Der Post-Privacy Standpunkt ist ein Debattenbeitrag, der es sich zum Ziel gesetzt hat die Individualansprüche der User an ihre Daten und Werke zu hinterfragen und die Vision einer Welt zu formulieren, in der Privatsphäre nicht nötig ist. Hierbei gilt zu beachten, dass die Formulierung einer Utopie immer eine Kritik an den bestehnden Verhältnissen ist. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit da Individuum ein freies Netz nutzen kann? Wie können wir die Sphäre des Ichs schützen? Welche Gesellschaft wollen wir und wie können wir maximal gute Rahmenbedingungen für freie Entfaltung und Chancengleichheit schaffen?
Das Problem der Durchleuchtung wird klar und deutlich erkannt und auch benannt, jedoch im Rahmen von Machtstrukturen betrachtet.
Gehen Sie nicht blauäugig und mit Gottvertrauen an die Problematik der Datensammelwut großer Unternehmen heran?
Im Moment ist Google ein mächtiger Akteur, der sich, im Gegensatz zu den Staaten dieser Welt, gegen Netzsperren einsetzt. Natürlich sind Monopole grundsätzlich kritisch zu betrachten und gehören dezentralisiert. Die Datensammelwut, als Resultat des Datenhandels, ist darüber hinaus eine Wirtschaftsblase und sollte eigentlich nicht ernst genommen werden. Allerdings geht es bei Post-Privacy grundsätzlich um freien Datenfluss, weswegen ein Datenmonopol, egal ob in staatlicher oder privater Hand, grundsätzlich abzulehnen ist.
Wie stehen Sie zu dem Vorwurf, mit populistischen Untertönen ein wirtschaftsfreundlicheres Klima im Internet schaffen zu wollen?
Es geht um freies Wissen, freie Daten und Informationen. Ich bin davon überzeugt, dass sich hier auch Geschäftsmodelle realisieren lassen. Jedoch nur unter der Prämisse, dass Daten und Wissen nicht monopolisiert werden. Populistische Untertöne sind natürlich auch immer ein Effekt der medialisierung einer Idee. Dennoch gilt: Wirtschaft und Gesellschaft sind nicht zu trennen. Auf der anderen Seite ist es nicht die Aufgabe der Gesellschaft Geschäftsmodelle zu retten, siehe z.B. die Musikindustrie.
Warum wird nur dort Transparenz propagiert, wo Daten eingesammelt, nicht aber dort, wo sie monetarisiert werden?
Ganz im Gegenteil wird ja freier Datenfluss und zwar bedingungslos gefordert. Das bedeutet z.B. auch das Ende des Betriebsgeheimnis. Die Idee der Post-Privacy ist ja nicht: Alle Menschen müssen die Daten rausgeben, sondern Transparenz in Politik und Wirtschaft muss absolut sein, auch wenn es zu Lasten des Konzeptes der Privatsphäre geht.
Worin liegt der Vorteil einer offenen Gesellschaft, in der jeder alles über jeden weiß?
Grundsätzlich stört sich niemand an der eigenen Nacktheit und der der anderen, wenn alle nackt sind. Jedoch muss man unterscheiden zwischen Wissen und freiem Datenfluss, der in der Praxis nur bedeutet, dass man alles wissen KANN. Denn Wissen muss erst aggregiert und interpretiert werden. Grundsätzlich muss eine offene Gesellschaft das Ziel sein. In dieser muss Pluralismus herrschen und Konflikte offen ausgetragen werden, denn nur so kann es Fortschritt geben. Pluralismu wird jedoch nicht entstehen, wenn die, welche den Pluralismus zur Entfaltung brauchen, sich in die Sphäre des Privaten zurückziehen müssen. Ein gutes Beispiel ist an dieser Stelle die ehemalige „Don’t ask, don’t tell“ – Policy des US-Militärs: Zwar wurde Toleranz vorgegeben, jedoch wurde die freie Entfaltung der Betroffenen massiv eingeschränkt, da bereits ein öffentliches Bekenntnis zum Partner nicht möglich war. Eine offene Gesellschaft muss oberste Priorität haben, denn nur in ihr können sich alle Teile ihrer frei und vollständig entfalten.
Offene Regierungen und transparente Entscheidungsprozesse führen darüber hinaus zu einer stärkeren Kontrolle durch die Bevölkerung und die Kunden und somit zu einer höheren Qualität des öffentlichen und privaten Leben. Mehr Wissen bedeutet rationalere Entscheidungen und die Chance auf eine bessere Gesellschaft.
Mit freundlichen Grüßen,
Julia Schramm