Reproduzierbarkeit und Solidarität

Frau-sein. Auch wenn ich rational und konstruktivistisch betrachtet damit nichts anfangen kann, ja hinter der Idee vielfach eben eine Konstruktion erkenne, auch weil ich das vielleicht will, kann ich mich seit kurzem sehr intensiv mit diesem Begriff identifizieren. Nicht, dass ich glauben würde Frauen repräsentieren zu können – oh weh! Würde ich massenkompatibel mit anderen Frauen sein, würde ich wohl BWL oder Jura studieren und Mitglied bei der SPD oder den Grünen sein. Oder Lehrerin. Und vielleicht Yoga machen. Oder noch neumodischer: Cheerleading. Ich würde bestimmt ständig im Rudel auftreten und „clubben mit den Mädels“ gehen. Leider stirbt jedoch ein kleiner Teil in mir, wenn ich das Wort „Mädels“ höre. Vermutlich würde ich Schokolade lieber mögen als Steak. Vor allem wäre ich aber weniger Außenseiter innerhalb der weiblichen Gesellschaft gewesen. Frauen sind mir suspekt.

Dennoch. Frau-sein kann ich verstehen, kann ich leben, kann ich sein. Oder doch Frau-Sein?

Ich verstehe, dass ich keinen Penis habe, mit dem ich Kinder nur zeugen kann, sondern dass ich grundsätzlich dazu gebaut bin, sie auszutragen, dass sie in mir wachsen können und dass ich in dieser Zeit wesentlich zu beschützender sein werde. Ich verstehe auch, dass sich daraus, evolutionär bedingt, Determinanten in meiner DNA eingegraben haben könnten, die abzulegen kaum möglich erscheint. Ich verstehe, dass Frauen mehr auf ihr Äußeres reduziert werden, dass ihnen der Fluch der ewigen Jugend stärker anhängt. Ich verstehe, dass Männern Sex leichter fällt. Ich verstehe, dass Alpha-Männchen anders sein müssen als Alpha-Weibchen. Und ich verstehe, dass es sich hierbei nicht nur um Klischees handelt, auch wenn ich das gerne so hätte.

War ich in jüngeren Jahren völlig dem Versuch abseits meiner Weiblichkeit zu leben verfallen – bevorzugt in männlicher Runde, bevorzugt cool und mit Themen beschäftigt, die meine Mitweibchen nicht interessant fanden – regt sich in letzter Zeit ein seltsames Gefühl in mir. Resultat einer Gehirnwäsche – vielleicht auch reversed – mag das alles sein, dennoch möcht ich diesem inneren Aufbegehren auf den Grund gehen, es verstehen, es einordnen und vor allem meiner Außenwelt unter die Nase reiben. Zunehmend meine ich zu spüren wirklich anders als ein Mann zu sein. Und nicht anders zu können. Zu wollen. Und zunehmend habe ich das Gefühl, dass ich mich in einer von Männern in Schlüsselpositionen besetzten Gesellschaft sehr schwer und nur mit großen persönlichen Entbehrungen durchsetzen werden kann. Und blicke ich dann auf meine weiblichen Vorbilder – Kinder haben die nicht. Die Rede ist von gläsernen Decken, die ganz und gar nicht wärmen, und struktureller Benachteiligung, die irgendwie auch selbstverschuldet ist. Simone de Beauvoir konstatierte bereits vor 60 Jahren, dass es abstrus erscheint, wenn sich 50% der Weltbevölkerung so systematisch unterdrücken lassen.  HA! Klar kriegen Frauen weniger Gehalt, weil die Arbeitgeber wissen, dass sie es mit ihnen machen können. Klar, sind Frauen tendenziell weniger forsch und treten unsicherer auf, trauen sich weniger auf den Tisch zu hauen. Wissen tue ich das. Anders machen will ich es auch. Schaffen tue ich es jedoch kaum. Stattdessen verliere ich mich in Eigenschaften, die tendenziell eher bei Frauen auftreten, und blockiere mich in meinem Tun. Alleine die kreisenden Gedanken um Liebe und Familie, Karriere und Entbehrungen, Verzicht und Konzentration lassen mich mein Denken blockieren. Die Gedanken an die Erfahrungen der anderen Frauen erst recht. Viel schlimmer: Ich bin Opfer meiner eigenen Vorurteile und wünsche mir nur allzu oft ein Mann zu sein. Wahrscheinlich lasse ich diesen Wunsch auch nur als Ausrede dafür gelten, dass ich meine Schwächen noch ungern als quasi-Determinanten für mein Leben zu akzeptieren bereit bin und noch nicht ganz erkannt habe, dass meine Schwächen den selben (sic!) Ursprung wie meine Stärken haben.

Klischees sind dann irgendwie auch selbsterfüllende Prophezeiungen – sie leben ewig, überdauern selbst Dinge wie den Holocaust und werden letztlich von den Menschen, denen sie potentiell anhaften, adaptiert. Wir leben sozusagen die Dialektik der Vorurteile. Sie entstehen, weil sie wirken und weil sie wirken entstehen sie. Natürlich gibt es zahlreich schlaue, gar wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Klischees und Vorurteilen – mit dem Drang des Menschen nach Kategorisierung lässt es sich wohl ziemlich gut erklären. Einschließen tut das jedoch auch die eigene Kategorisierung und die dadurch folgende Unterwerfung an Vorurteile zum Schutz vor vermeintlicher Isolierung. Erfülle ich ein Klischee kommen zahlreiche Vorteile gleich mit. Klischees helfen mir einen sicheren Platz in der Gesellschaft bekommen zu können, erfülle ich sie nur richtig.

Auch habe ich das Gefühl, dass mir abverlangt wird eine Frau zu sein – ebenso wie von mir verlangt wird wie ein Mann zu handeln, wenn ich in den Gefilden der Macht spielen will. Doch will ich das? Wiegt ein Wikipediaartikel fehlende Kinder auf? Geht beides? Hilft Solidarität zwischen Frauen oder braucht es einfach weibliche Autorität?

Ich bin eine Frau. Jetzt muss ich nur noch lernen diese Tatsache zu mögen. Auch wenn ich mir dabei selbst noch suspekt bin.

Achja:

„Vorurteile sind die hochnäsige Empfangsdame im Vorzimmer der Vernunft.“
Karl Heinrich Waggerl