„Frauen, wacht auf! Was auch immer die Hürden sein werden, die man euch entgegenstellt, es liegt in eurer Macht, sie zu überwinden. Ihr müßt es nur wollen.”
Olympe de Gouges
Deutsche Parteien haben einen offensichtlichen Frauenmangel – die Piratenpartei ist da keine Ausnahme, sondern vielmehr die Regel. Schließlich ist es vielsagend, wenn sich die LINKE mit einem Frauenanteil von 39% rühmt. Und nun bin ich doch bei der öffentlich dokumentierten Stellungnahme zu diesem Thema. Aber scheinbar muss auch ich mich dazu äußern – so als Frau.
Doch was hält nun Frauen von der Politik ferner als Männer? Wieso kandidieren bei einer offenen Wahl zum Vorstand der Piratenpartei Deutschland Frauen nur aus Rebellion, ohne Vorbereitung, ohne Ankündigung und nur mit dem Ziel die Debatte über das Thema Gender auch auf dem Parteitag auszukämpfen? Liegt es an den gender-free Toiletten? Liegt es daran, dass Frauen nur als Flirtobjekte in der Piratenpartei gesehen werden und Angst haben zu kandidieren? Liegt es an einem frauenfeindlichen Klima in der Piratenpartei? Liegt es daran, dass wir in einer Gesellschaft leben in der Frauen strukturell diskriminiert werden? Glaubt man denen, die sich nun echauffieren, auch in unseren Reihen, dann sind es genau diese Faktoren. In Kombination mit der Aussage, die Piratenpartei würde so nie genug Zustimmung bekommen, stellen sich mir folgende Fragen: Sollen wir Frauen zwingen sich für den Vorstand aufzustellen, damit wir eine Frau im Vorstand haben und somit eine breitere Wählerschaft erschließen können? Sollen wir Frauen auf Grund ihres Geschlechts in Positionen bringen, die sie selbst vielleicht gar nicht wollen? War es ein Fehler nicht für den Vorstand anzutreten, weil ich eine Frau bin?
Geschlecht ist, abgesehen von den Implikationen durch biologische Tatsachen (x- und y- Chromosomen und der Gebär- bzw. Zeugungsfähigkeit), reine Konstruktion – die Vorstellungen, von männlichen und weiblichen Eigenschaften sind ein Konstrukt kultureller und sozialer Entwicklung und Prägung, weibliches oder männliches Verhalten vor allem Produkt einer platten Vorstellung der modernen Welt. Wer jedoch verkennt, dass sich in der grundsätzlichen biologischen Zuordnung von zwei Geschlechtern ein ewiger Dualismus, den es zu institutionalisieren, nicht zu bekämpfen gilt, verbirgt, der verkennt auch die Realität. Schuldzuweisungen sind an dieser Stelle jedoch nicht angebracht, unproduktiv und unreflektiert. Die Gesellschaft, ja der Mensch!, ist vielmehr von der Obsession zu Kategorisieren und in Schubladen zu stecken durchdrungen, und sei es nur die krampfhafte Einteilung in männlich und weiblich, in Männliches und Weibliches. Wer sollte uns das verwehren, dient dies doch der Orientierung in unserer komplexen Gesellschaft. Resultat dessen ist oftmals, dass Frauen gar wirklich die konstruierten Vorstellungen von einer Frau annehmen, umsetzen und glücklich und überzeugt leben. Ein Auszug dieser Klischees: „Frauen sind harmoniebedürftig. Frauen trauen sich grundsätzlich weniger zu, sind weniger mutig, weniger abenteuerlustig und überdenken Entscheidungen stärker. Frauen sind konfliktscheuer.“ Nimmt man diese Klischees und gleicht sie mit dem momentanen Zustand der Piratenpartei ab, verwundert es nicht, dass keine Frau kandidieren wollte, ja die Frage müßte sogar lauten: Ist der Vorstand der Piratenpartei Deutschland Opfer der Gesellschaft? Wie verzweifelt sich die Piraten eine Frau in ihren Führungsreihen wünschen, wurde in den zahlreichen Versuchen Frauen zum kandidieren zu motivieren klar. Noch mal deutlich: Die Männer baten um eine weibliche Beteiligung im Vorstand, aber die Frauen wollten nicht. Warum? Ist das nicht vollkommen egal? Ein ähnliches Bild bietet sich auch sonst in unseren Reihen: Während überwiegend die Männer, oder die Piraten, die sich weitestgehend als Mann definieren, die Frauen der Partei in der Öffentlichkeit sehen wollen, nicht zuletzt um dem Image der frauenfeindlichen Nerd-Partei zu entgehen, sind es die Frauen, die sich einer übertriebenen Fürsorge ob ihres Geschlechtes verweigern. Ich finde das gut. Wenn auch schwierig, da die Öffentlichkeit in den unendlichen Weiten ihrer Sensationsgeilheit nicht mit einer derartig differenzierten Ansicht zurecht kommt.
Sind Frauen wirklich benachteiligt und welche Rolle kann und soll der Staat bzw. die Gesellschaft hier spielen?
Jahrhunderte lang waren Frauen auch in Westeuropa rechtlich benachteiligt, ja wurden per Gesetz nicht als Bürger und Menschen anerkannt, Vergewaltigung waren de facto straffrei, Frauen das Wahlrecht und eine eigenständige Karriere verwehrt und wenn ich weiter aufzähle, was Frauen alles nicht durften und was ihnen alles rechtlich verboten wurde, geht mein Punkt verloren. So oder so: Frauen hatten sehr lange keine Rechte, sondern nur Pflichten. Das haben, zumindest in Deutschland, die Frauenbewegung und ihre Kämpfer jedweden Geschlechtes geschafft: Frauen sind rechtlich gleichberechtigt, ihnen stehen gesetzlich alle Türen offen, gar werden sie strukturell bevorzugt, weil man ihnen per se strukturelle Benachteiligung vorwirft. Ja, es gibt sie noch die bösen Ecken und Plätze, wo Frauen sich ihres Geschlechtes wegen benachteiligt sehen müssen, so zum Beispiel in Mitten meiner Profession der Politikwissenschaft, wo es kaum eine Professorur mit weiblicher Besetzung gibt (die es eh selten gibt!), geschweige denn eine Koryphäe neben Helga Haftendorn existiert. Doch gab es immer Gebiete, wo sich Menschen unterdrückt sahen und um ihre Freiheit und Anerkennung kämpfen mussten. Wieso sollte dies für Frauen anders sein? Wieso sollte der Staat da eingreifen? Wieso sollte er die Frauen zu ihrem vermeintlichen Glück zwingen? Wieso schaffen das die Frauen nicht selbst? Der Staat kann und darf nur eine rechtliche Gleichstellung bieten, einen Rahmen geben. Was daraus gemacht wird, ist immer noch die eigene Verantwortung.
Und ja, auch das Krux des Anflirtens tragen Frauen weiterhin mit sich. Auch in der Piratenpartei. Doch sind wir mal bitte ganz ehrlich: Schmeichelt es nicht jeder Frau irgendwann mal angeflirtet zu werden? Ist es nicht viel näher an der Wahrheit, dass frau auf der einen Seite entscheiden will, wer sie wann anflirtet, aber auch keinen willenlosen Schoßhund haben will? Wie soll ein Mann souverän und eigenständig sein, was ja die Durchschnittsheterofrau verlangt, wenn er sich einer Frau nur nähern darf, wenn und falls sie dies erlaubt? Auch ich wünsche mir in der ein oder anderen Gesprächssituation ein Mann zu sein, in dem kruden Glauben, dann ernster genommen zu werden. Auf der anderen Seite preise und liebe ich sehr viele Momente, in denen ich glücklich bin eine Frau zu sein. Diesen Dualismus zu verstehen, anzunehmen und auch Wesen in den Spähren dazwischen zu akzeptieren ist es, was die G. – Debatte eigentlich schaffen sollte.
Und so verwundert es kaum, dass sich die Kritiker des fehlenden Feminismus der Piratenpartei als die größten Differenzisten und Sexisten entlarven: So sagte Lena Simon (Initiatorin einer geschlossen Mailingliste für Frauen und des Spruchs „Klarmachen zum Gendern!“) bei ihrer, nicht wirklich ernst gemeinten, Kandidatur zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden, dass Beziehungsarbeit die weibliche Seite [wäre], die [sie] hoffentlich auch bald bei Männern erlebe. Beziehungsarbeit ist also weiblich? Soziale Kompetenzen sind also weiblicher Natur? Auch die ein oder anderen Kritiker der Diversität in der Blogosphäre werden nicht müde zu betonen, dass „weibliche“ Themen wie Stricken und Häkeln ebenso interessant sind wie männliche. Oder das ihre Beiträge nur auf Grund ihres Geschlechtes nicht so oft gelesen werden. Ist das nicht eben die Diskriminierung, die von jenen kritisiert wird, die glauben sich einer intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Konstrukt Geschlecht gewidmet zu haben? Intellektuelle Tiefe kann ich jedoch wenig bis kaum erkennen. Ganz im Gegenteil wird feministische Literatur hier und da unreflektiert konsumiert und den persönlichen Probleme in der Gesellschaft ein Schuldiger zugewiesen: das Patriarchat. Hat man nun noch Sylvia Plath gelesen, glaubt sie verstanden zu haben, so fühlt man sich Opfer einer männlichen Verschwörung, die sich zum Ziel gesetzt hat die Frauen dieser Welt an den Herd zu ketten.
Ich vermute hinter der Debatte um mehr Frauen in der Partei und verantwortlichen Positionen vor allem eins: Die Vorstellung, das Frauen es besser machen, dass „weibliche“ Eigenschaften eine bessere, schönere Welt schaffen können. Doch wird hier nicht das diskriminierende Element zum Heilsbringer erkoren? Sollen wir uns für ein Geschlecht entscheiden, dass bessere Fähigkeiten hat die Gesellschaft zu führen? Brauchen wir Individuen, welche die Gesellschaft führen? Ist eine weibliche Welt eine bessere Welt? Leider führt mich dies unweigerlich dazu erkennen zu müssen, dass so manch selbst ernannte Feministinnen (die eigentlich Matriarchatistinnen sind ;-)) auch nur einer Ideologie anhängen, einem geschlossenen Denksystem, in dessen unendlicher Logik alle Argumente vergessen, ignoriert und abgelehnt werden. Da verwundert es nicht, dass der ein oder andere Pirat, der sich lieber Piratin nennt, nicht erkennen konnte, dass Frauen auf dem Bundesparteitag nicht gezwungen wurden die Männertoilette zu benutzen, sondern den, mehrheitlich vorhandenen, Männern erlaubt wurde die Kabinen-Toilette der Frauen mitzubenutzen. Aber wer glaubt die Wahrheit persönlich von einem noch so gearteten metaphysischen Subjekt erhalten zu haben, vergisst eben auch schnell mal Schilder zu lesen und meckert lieber direkt.
Letztlich möchte ich sagen, dass es in der Hand jedes Menschen liegt sich zu emanzipieren, dass Unterdrückung immer stattfinden wird, dass es kleine Männer mit Glatze auch schwerer haben im Leben und wir ihnen deswegen trotzdem nicht das Recht zur Selbstbestimmung auf Grund von Opfertum absprechen, ganz im Gegenteil von ihnen extra Einsatz geradezu verlangen! Ich behaupte, dass viele Menschen, auch die, die sich als Frauen verstehen, ihre Freiheit nicht nutzen wollen, Angst vor echter, intellektueller, vom Geschlecht unabhängiger Emanzipation haben und sich lieber in abstruse Beziehungen stürzen als eigenständig, individuell und selbstbestimmt zu leben. Oder die geschlechtsbezogene Idee der Emanzipation nutzen um sie auszunutzen, zu missbrauchen und zu pervertieren. Viele Menschen lassen sich unterdrücken und unterdrücken sich selbst und andere – zu viele.
Emanzipation hat nichts mit dem Geschlecht zu tun. Und so bleibt es mir nur mit Adorno zu schließen: