Magdeburg.

Seit ein paar Ex-Pirat_innen im Januar eine Erklärung zur Unterstützung der Partei die Linke veröffentlichten, habe ich mich mit der Partei intensiver auseinandergesetzt. Am letzten Wochenende bin ich dann zum Parteitag gefahren, um mir das Ganze vor Ort mal genauer anzugucken. Meine gute Freundin Ursula hatte danach ein paar Fragen an mich – sie selbst war nicht nur lange Journalistin, sondern auch Mitglied der Piratenpartei. Nachdem ich die Fragen beantwortet habe, fragte sie mich, ob ich sie nicht auch veröffentlichen wollen würde, weil das bestimmt auch andere interessiere. Also. Nun denn:

1. Erst mal ganz simpel: Wie ist das für eine die aus der Parteitagskultur der Piraten kommt. Was war dir sympathisch, befremdlich?

Mein erster Eindruck war sehr vertraut. Die Tischreihen, das Gewusel, die Atmosphäre – das war für mich alles sehr bekannt. Die Debatten sind aber alle sehr viel zivilisierter und sachlicher gewesen. Und natürlich sozialistischer, was bei den Piraten ja nie Konsens war. Natürlich gibt es eine feste Choreographie, aber das ist einfach auch notwendig in unserer Gesellschaft, getrieben von Medien und Entfremdung.

Was ich besonders spannend zu beobachten fand, waren die verschiedenen Strömungen und sozialen Rollen, die auf dem Parteitag jeweils sichtbar wurden. Da habe ich sehr viele Paralleln zu den Piraten gesehen, was ich witzig fand. Alles in allem fand ich das ganze Spiel recht amüsant – war ja auch mein erster Parteitag, da ist alles noch schön und aufregend. Es fühlte sich halt wie ein Parteitag an, nur eben mit Sozialismus. Hat mir gut gefallen. Außerdem hatte ich mit Martin Delius eine reizende Begleitung.

2. Wie siehst du den Konflikt zwischen den Reformer_innen und den Traditionalisten? Was meinen sie, wenn sie Revolution sagen? Wie erlebst du diese Leute für die Nato/ USA und z.T. auch Israel die Hauptfeinde sind?

Die Linke gibt es ja so in der Form erst seit 2007 und natürlich gab und gibt es erbitterte Kämpfe und viele Verletzungen, die für einen Frischling wie mich noch sehr undurchsichtig sind und doch sehr tief zu gehen scheinen. Menschlich halt. Dennoch gibt es einen sozialistischen Grundkonsens auf den es sich durchaus stolz beziehen lässt.

Was die Leute meinen, wenn sie Revolution sagen, weiß ich nicht so genau, weil das denke ich sehr individuell ist. Aber ich denke, dass damit in erster Linie eben der Wunsch nach dem Ende der herrschenden Verhältnisse ausgedrückt wird. Und der Impuls ist ja schon mal gut.

Das Verhältnis zu den USA ist natürlich kompliziert und auch teilweise sehr unschön. Klar sind die USA ein wesentlicher Teil unseres jetzigen Kapitalismus, aber eben auch eine Gesellschaft, die sehr pluralistisch ist. Ich bin Sozialistin, aber ich will die liberalen Freiheitsrechte erhalten und da ist die USA durchaus auch als Vorbild zu sehen wenn es um die Frage von Pluralismus und die demokratische Einbindung aller geht.

Und Israel, nunja. Es sind dicke Bretter zu bohren, absolut. Ich würde mir erstmal wünschen, dass nicht ständig auf kommunaler Ebene versucht würde den Konflikt zu lösen – das ist absurd. Gefreut habe ich mich, dass die Deutsch-Israelische Gesellschaft auf dem Parteitag mit einem Stand vertreten war und auch gut aufgenommen wurde.

Generell muss ich allerdings sagen, dass die geopolitische Expertise in der Partei etwas unterentwickelt ist.

3. Wie viel Feminismus ist in der Partei? Ist das Bekenntnis zum Antikapitalismus wieder kräftiger und deutlicher geworden oder sind das erst mal mehr Wortblasen?

Wenn du von den Piraten kommst, musst du dich erstmal daran gewöhnen, dass auf dem Parteitag unfassbar viele richtig tolle Frauen sind – also eine kritische Masse da ist. Mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Das hat mich wirklich gefreut. Tolle Frauen, tolle Redebeiträge, engagiert und in einem Maße gut gekleidet, dass es mich doch sehr befreidigt hat. Abgesehen davon, dass da wirklich viele rot tragen. (lacht) Grundsätzlich ist der Feminismus sehr viel selbstverständlicher als bei den Piraten und die Männer auch sehr viel feministischer, um ehrlich zu sein. Aber das heißt natürlich nicht, dass es da nicht noch Spielraum nach oben gibt …. Grundsätzlich gehören Sozialismus und Feminismus auch zusammen, wie ich finde. Und die sozialistischen Töne waren ebenso wie die feministischen eindeutig und klar, was ich gut fand. Ob das deutlicher war kann ich nicht beurteilen, aber für mich persönlich waren sie deutlicher.

4. Warum ist Sahra Wagenknecht wichtig für die Partei? Was ist deine Einschätzung zur Torte und ihren Folgen?

Zunächst ist Sahra Wagenknecht rhetorisch wohl die Begabteste, die die Linke gerade hat – ihre Rede am Sonntag war handwerklich die beste des Parteitages. Es hat mich durchaus beeindruckt, wie sie in der Rede auf die Torte reagierte und wie klar sozialistisch und stabil marxistisch ihre Rede war. Sie agitiert die Genoss_innen effektiv und repräsentiert gleichzeitig auch den nicht so schönen Zustand der Linken. Dass sie im Kern den Nationalstaat zu erhalten gedenkt und ihre Argumentation dann auch in Bahnen gerät, die eben nicht universalistisch und sozialistisch sind, ist eine Tragik, die repräsentativ für die sozialistische Debatte ist, die wir in Deutschland haben. Da müssen wir inhaltlich gegenhalten, ganz klar, aber eben nicht indem wir sagen “böse, böse”, sondern inhaltlich konkret. Beispielsweise mit dem Bekenntnis Deutschland politisch zu überwinden. In der politischen Realität heißt das dann: Die Europäische Integration vorran treiben, aber eben aus einem sozialistischen Standpunkt heraus.

Die Aktion mit der Torte war im Kern nicht sonderlich gut durchdacht. Letztlich wurde eine der bekanntesten und stabilsten linken Politikerinnen in Deutschland mit einem sehr schwachen und auch sexistischen Statement gedemütigt und hat darauf so souverän reagiert, dass sie auf dem Parteitag als einzige Hauptrednerin einen wirklich tobenden Applaus bekam. Alle Seiten behaupten natürlich jetzt gewonnen/verloren zu haben. Aber wenn am Ende nur das öffentliche Demütigen als politisches Mittel übrig bleibt, dann ist das natürlich eine Bankrotterklärung.

5. Was war das Wichtigste für dich auf dem Parteitag? Die Reden?

Alles natürlich! Nein, Spaß. Ich wollte einen Eindruck von der Partei kriegen, wie sie tickt und wer da wie so rumläuft und was tut. Und das Nackensteak, das aber leider eine Enttäuschung war. Ich bin ja mit Martin auf dem Parteitag auch als “Ex-Piraten” aufgetreten und das war spannend zu beobachten. Die Reaktionen waren sehr positiv und neugierig, wenn auch teilweise misstrauisch, was ich erstmal sehr sympathisch fand.

6. Bist du mehr hoffnungsvoll oder frustriert? Wo glaubst du wäre es wichtig sich in der Partei zu engagieren – ema.li?

In den fünf Jahren bei den Piraten habe ich eine parteipolitische Frustrationsgrenze erreicht, die auch die Linken nicht so schnell kaputt machen können. Parteipolitik ist halt Parteipolitik – das ist eben auch ein Betrieb, der seine eigenen Regeln hat. Ich denke alles in allem ist die Linke gerade dabei wieder wirklich relevant zu werden. Denn die Zeiten sind arg und je ärger sie werden, desto mehr hören die Menschen den Linken wieder zu und nehmen sie ernst.

Zur Frage des Engagements: Ich denke es ist wichtig die Kämpfe gegen regressives Denken in der Partei zu kämpfen. Gleichzeitig ist es glaube ich auch wichtig Brücken zu bauen, sich selbst mal zurück zu nehmen und sich zu besinnen. Die Linke ist ja auch die Nachfolgeorganisation der KPD – dem Anspruch soll sie auch gerecht werden. Und engagieren? Naja. Den Leuten, die vorher den Piraten nahe standen, empfehle ich ema.li (emanzipatorische linke) oder fds (forum demokratischer sozialismus) – da sind habituell große Überschneidungen. Und die freuen sich über neue Leute.

7. Wie ist dieser neue Vorstand einzuschätzen?

Ich mochte alle Reden derer, die in den Kernvorstand gewählt wurden (Also Vorsitzende und Stellvertreter_innen und Geschäftsführung) auf die ein oder andere Art. Ich finde den Weg, den vor allem Katja in den letzten Jahren eingeschlagen hat – also enge Zusammenarbeit mit Intellektuellen beispielsweise – sehr richtig. Der Vorstand hat so zur Entabuisierung der Linken beigetragen und das stimmt mich hoffnungsvoll, denn das ermöglicht Handlungsspielraum.

Den erweiterten Parteivorstand kann ich nur bedingt einschätzen. Ich muss leider sagen, dass diejenigen Kandidaten (sic!), die mir bisher positiv aufgefallen sind, nicht so gut abgeschnitten haben. Aber es wurden auch wirklich gute Leute in den Vorstand gewählt. Klaus Lederer beispielsweise.