Dieser Text brennt mir auf der Seele so lange ich denken kann. Doch erst seit kurzem kann ich dieses Brennen benennen. Es ist ein seltsames Gefühl, irgendwie bedeutungsschwanger, trivial, potentiell Aufruhr erzeugend. Es ist ein sehr persönliches Thema, weswegen es mir eigentlich schwer, aber auch gerade leicht fällt. Es betrifft mich auf eine Art. Es geht um Diäten, um Abnehmen, um Körper, um Schlankheitswahn. Ich schrieb schon vor 4 Jahren:
Auch im Jahr 2015 immer noch sehr wahr. Aber es hat sich für mich in den letzten Jahren etwas verändert, was ich hier festhalten will. Aber von vorne: Ich war nie dünn. Aber auch nie dick. Ich hatte mit 13 schon quasi die Figur wie jetzt und drehe mich seitdem immer um die 75 Kilo bei 173 cm. Mal 10 mehr, mal 10 weniger. Grundsätzlich ist das natürlich eine riesige Spanne, aber die Ausreißer nach oben und unten sind eigentlich sehr selten gewesen. Ich habe also so konstant einen BMI Normalgewicht Grenze leichtes Übergewicht. Ich habe immer mal wieder versucht abzunehmen, das klappte aber nie. Ich nahm immer nur zufällig ab sozusagen – also immer dann, wenn ich es nicht erwartete und auch nicht wirklich merkte. Das war frustrierend, sehr. Es machte mich ganz wild. Wie so gut wie jedes Mädchen habe ich in der Pubertät auch eine Körperschemastörung entwickelt – also nie wirklich realistisch gesehen, wie ich eigentlich aussehe. Meine Kleidergröße bewegt sich zwischen 38-42 und ich es gab Zeiten, da kaufte ich eine 48 und war überrascht, dass sie mir zu groß war. Aber ungesund wurden meine Auseinandersetzungen mit Essen nie: Irgendwie blieb es immer im Rahmen dessen, was mein Körper vertragen konnte. Um mich herum jedoch grassierte Magersucht und Bulimie. Ich tauschte mich viel und intensiv aus mit denen, die an diesen Krankheiten litten. Ich lernte viel, ich dachte viel nach. Ich aß, ich aß weniger, ich machte Sport, ich machte keinen. +-75 kg. Aber ich kam mir immer zu dick vor. Nicht schön, abartig sogar. Ich hasste mich so sehr, dass ich weinend vor dem Spigel stand oder auf dem Bett lag und auf meine Oberschenkel schlug. Meine Umwelt konnte das nie verstehen – ja, klar, das Bäuchlein, aber sonst? So lebte ich also vor mich hin, bis es eines Tages zu viel wurde. Meine Kleidung passte nicht mehr, ich wurde depressiver von Tag zu Tag und verbrachte die Tage mit frittiertem Sushi, Serien und Suizidgedanken. Das war die Zeit nach dem Shitstorm 2012 wegen meines Buches. Eine Freundin erzählte mir damals, dass sie einfach Kohlenhydrate weglassen würde. Da ich zu dem Zeitpunkt kein Fleisch aß, dachte ich mir, dass verzichten ja machbar klingt und entschloss mich Kohlenhydrate so lange wegzulassen wie es ginge, mindestens aber bis diese eine Hose wieder passen würde. Ich ernährte mich also zwei Wochen lang von Gemüse, jeglichen Formen von Milchprodukten, Surimi und Avocado. Nach zwei Wochen merkte ich nicht nur, dass die Hose wieder passte, sondern dass es mir auch fundamental besser zu scheinen ging. Wacher, fröhlicher, entspannter und weniger Darmschmerzen. So kam ich auf den Trichter, dass mein Darm und Gluten vielleicht keine Freunde seien, was sich im Laufe der Zeit auch verfestigte. Seit zwei Jahren nun verzichte ich auf Gluten weitesgehend und habe mich auch so mit Ernährungskram beschäftgt. Seit kurzem tracke ich mein Essen in der Androidapp Noom, die mir nochmalig neue Erkenntnisse gebracht hat. Auch habe ich mich mit fat-acceptance beschäftigt, da ich zwar selbst nicht übergewichtig – bzw. nur leicht 😉 – bin, aber mein ganzes Leben unter diesem krankhaften Schönheitsidel gelitten habe, das ich nie zu erreichen vermochte. Das ist nun eine sehr lange Vorrede geworden, aber nungut, es ist mir ein Anliegen und ich möchte das hier nun verewigen, was ich gelernt habe.
1. Menschen brauchen wirklich wenig Kalorien, um zu existieren
Ungefähr 2000 Kalorien braucht ein Mensch für das Sichern der körperlichen Existenz. Für kleinere Menschen ist es weniger, für größere mehr. (Edit: Also das brauche ich bei 173, 75 kg, 29 Jahre. Ist grundsätzlich natürlich bei allen anders, aber irgendwo zwischen 1500 und 3000 siedelt sich der grundlegende Energiebedarf an.) 2000 Kalorien sind sehr, sehr wenig gemessen an dem, was unsere Gesellschaft so an Kalorienhaltigem produziert. 2000 Kalorien sind 1 1/2 Tiefkühlpizzen. Die Cola ist dann schon zuviel. Die Erkenntnis ist immer noch am Einsickern: +-2000 Kalorien, mehr brauchen wir eigentlich nicht. Klar, Hochleistungssportler_innen brauchen mehr und Menschen mit Hormonkrankheiten weniger oder mehr. Aber zur reinen Existenzsicherung braucht es nur +-2000 Kalorien. Nun ist es einen eigenen Aufsatz wert darüber zu philosophieren, warum in der modernen Welt das Schönheitsideal dem entspricht, was reine Existenzsicherung bedeutet.
2. „Ich kann essen, was ich will, ich werde nicht dick“ ist Bullshit
Nein, du kannst nicht essen, was du willst und wirst nicht dick, du willst nur nicht so viel als dass du dick würdest – so sollte der Satz richtig heißen. Alles was der Körper nicht braucht wird angesetzt – also essen dünne Menschen einfach nicht viel, sind schneller satt, haben weniger Appetit, sind Frust-Nicht-Esser, was auch immer …. aber sie nehmen offenbar nicht mehr Energie auf, als sie brauchen. Das kann unterschiedliche Gründe haben – viele davon sind genetisch, andere sind es nicht. Was aber interessant ist an der Aussage ist, dass Menschen, die sowas sagen, offenbar das Gefühl nicht kennen etwas nicht zu essen, weil es „zu viel“ ist/sein soll/sollte /sein muss. Diese Menschen kennen also diese Qual nicht. Ich kenne sie. Und ich hasse sie.
3. Die meisten Menschen schätzen sich falsch ein
Menschen schätzen sich eh gerne falsch ein – und so ist es bei der Energieaufnahme auch. Ich selbst bin ab und an noch ein wenig schockiert wieviel Energie sich tatsächlich in was befindet. Und wie wenig. Einfach mal notieren ist im Moment eine interessante Beschäftigung. Wieviel brauche ich tatsächlich, was lässt mich fit werden, was nicht? Endlich wieder einen Bezug zu meinem Körper bekommen, verstehen was der Körper braucht und was nicht. Ähnliches gilt für Bewegung. Der Burger ist nicht mit 10 km Fahrrad abgebaut. Nope. So funktioniert es nicht. Und so kommt es, dass Menschen, die sehr dünn sind meist denken sie essen totaaaal viel und bewegen sich gaaaar nicht und Menschen, die übergewichtig sind oft denken, dass sie gar nicht sooo viel essen und sich viiiiel bewegen. Appetit, Sättigungsgefühle und so sind auch eher bei der genetischen Seite zu verorten. Der Energiebedarf dagegen ist es nicht. Leider.
4. Gewicht und Gesundheit hängen zusammen, aber jeder Körper ist anders
Die Debatte läuft oftmals genau an dem Punkt aus dem Ruder: Natürlich hängen Gewicht und Gesundheit zusammen, nur anders, als die verkürzte Kette dick = ungesund, dünn = gesund. Vielmehr ist jeder Körper anders und braucht unterschiedliche Zuwendung und Zufuhr. Jede_r muss für sich selbst rausfinden, was das gesunde Wohlfühlgewicht ist. In jungen Jahren ist das natürlich alles noch unkomplizierter. Aber klar, im Alter wird es dann mit höherem Gewicht wahrscheinlicher, dass die Gelenke überlastet sind. Bei mir persönlich sind die 78 kg eigentlich ideal. Bei dem Gewicht bin ich überwiegend gesund, stabil, selten erkältet, mir ist nicht kalt, etc. pp Nach BMI habe ich bei 78 kg Übergewicht, aber mein Körper ist gesund. 10 kg weniger entspreche ich zwar dem gängigen Schönheitsideal, bin aber kränklich, blass. Gesundheit ist ein komplexes Gebilde und jede_r muss für sich selbst rausfinden, wie es gut ist.
5. Ich scheiße auf die Waage, die ist eh der Feind und BMI ist neoliberaler Dreck
Ich wiege mich nicht mehr. Es bringt eh nichts, es macht paranoid und depressiv. Wenn ich eine Diät mache, dann messe ich das anhand von Kleidung, die passen soll. Und dass der BMI ein bescheuertes Konstrukt ist, habe ich schon letztens auf Twitter mit einem Bild illustriert:
https://twitter.com/_juliaschramm/status/601474068093784066
Zu dieser Zeit ging es mir sehr, sehr schlecht. Ich habe 70 kg gewogen, hatte aber fast schon Größe 36, meine Rippen kamen raus und es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mir dachte, dass ich echt zunehmen sollte. Damals aß ich einfach nicht. Alles tat weh, war aufwühlend, in Bewegung. Ich aß einfach nicht. Es fiel mir gar nicht schwer, ich merkte es nichtmal. Trotzdem hatte ich einen BMI von 24 – fast schon Übergewicht. BMI ist ein neoliberaler Dreck, der Menschen in Förmchen zwingt, die in den meisten Fällen nicht passen. Und sogar krank machen können. Kilo und BMI sagen gar nichts aus.
6. Menschen belügen sich gerne selbst
Es ist ein komplexes Thema und ich habe auch ein wenig Angst davor darüber zu schreiben. Aber Menschen belügen sich gerne. Ich tue das auch. Ach, naja, die Praline wird schon nicht weh tun. Dann sind es ganz schnell 5 Pralinen und der Energiebedarf für den Tag ist quasi schon gedeckt. Achja, ich bin ja heute 1 Stunde Fahrrad gefahren, das sind bestimmt 1000 Kalorien. Nein, sind es nicht, es sind 200. Ich habe heute alles in mich reingestopft was ging, nein zählen tue ich das nicht, oh es sind doch nur 1500 Kalorien gewesen? Die einfache und simple Wahrheit ist: wenn du deutlich mehr als 2000 (bzw. deinen Grundbedarf) Kalorien am Tag zu dir nimmst, lagert der Körper das ein und du nimmst zu, wenn du es nicht verbrauchst. Das ist es, was uns Menschen verbindet – +-2000 Kalorien. Alles andere ist individuell: Hunger- und Appetitgefühl, Bewegungsdrang, Vorlieben …. Außerdem: Viele Menschen hungern gnadenlos, weil 2000 (bzw. dein Grundbedarf) Kalorien einfach nicht viel ist!
7. Es geht um Kontrolle
Die Debatten über Gewicht, Gesundheit und Schönheit sind zutiefst von Kontrollansprüchen geprägt. Gerade junge Menschen flüchten sich bei kontrollsüchtigen Eltern in einen Bereich, den letztlich nur sie kontrollieren können: Das Essverhalten. Auch Gesundheit und die Frage was gesund ist und was nicht ist von Machtmechanismen durchzogen. Und Schönheitsideale sowieso. Es geht um Kontrolle und Macht. Das weiter auszuführen ist an der Stelle aber zuviel.
8. Fuck that shit. Do what you want!