Am 1. September fand in Berlin eine Demo gegen Sexismus in der Werbung statt. Die erste ihrer Art. Auf dieser haben Kathy Meßmer und ich eine Rede gehalten. Das Manuskript findet ihr nun hier. Grundsätzlich haben wir uns bemüht, verschiedene Diskriminierungslinien aufzuzeigen, klar zu machen, dass Sexismus ganz besonders nicht nur weiße cis-Frauen betrifft. Aber es spricht leider schon für sich, dass weiße cis-Frauen redeten …. Leider ist auf Großveranstaltungen immer Raum für die Reproduktion von Ausschlüssen. Das alles hat Nadia sehr gut beschrieben. Danke dafür. Ganz im Sinne Luxemburgs denke ich, dass ‚Selbstkritik, rücksichtslose, grausame, bis auf den Grund der Dinge gehende Selbstkritik Lebensluft und Lebenslicht der feministischen Bewegung ist‘. Ich hoffe trotzdem, dass ihr die Rede mögt. Kritik gerne in den Kommentaren 🙂
„Alles, was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien ist einer der meist zitierten Sätze in der Soziologie. Und vermutlich will das heute auch niemand mehr bestreiten. Heute sind wir einen Schritt weiter, wir erfahren unsere Welt nicht mehr nur durch die Massenmedien, sondern neue Medien formen auch unseren Alltag. Das heißt wir sind immer öfter von immer noch mehr Bildern umgeben. Unser Alltag wird damit auch für künstliche Bilder immer durchlässiger. Wenn ich heute eine Straße entlang laufe und dabei in mein Smartphone schaue, was ziemlich oft passiert, sehe ich zunehmend künstliche Bilder statt realer Menschen.
Das ist nicht unbedingt ein Problem. Das wird erst dann zum Problem, wenn die Bilder und Photos, die wir sehen, eine Realität zeigen, die wenig mit dem Leben zu tun hat, welches wir leben wollen. Wenn jeden Tag in Bildern und Inszenierungen gesagt und gezeigt wird, dass Menschen so und nicht anders zu sein haben. Wenn wir statt Vielfältigkeit von Lebensweisen und Körpern, mit einer Norm belästigt werden, die unser Leben schlechter macht.
Peggy Phelan sagt: „Wenn Medien die Mächtigen zeigen würden, dann müssten junge, weiße, halbnackte Frauen die Welt regieren.“
Frauen werden in der Werbung besonders gern als Gegenstände inszeniert. Sie verwandeln sich in Bierflaschen, zu Musikinstrumenten oder auch mal zu einer Bratwurst. Erstaunlich oft fehlt ihnen der Kopf und ihr (halb)nackter Torso steht im Mittelpunkt. Noch krasser trifft dies Women of Color, also nicht-weiße Frauen. Immer und immer wieder stehen sie als exotische Bildelemente irgendwo im Hintergrund herum, als eine Art Mode-Accessoire! Wir sehen sie nicht als Macher*innen, als aktive Menschen. Dicke Frauen tauchen nur dann auf, wenn sie uns etwas übers abnehmen erzählen sollen und lesbische Frauen oder Frauen mit Behinderung tauchen erst gar nicht auf. Das gilt nicht nur für die Werbung. Das ist so in den Bildern, die die Artikel auf tagesschau.de bebildern, das ist so auf den Wahlkampfplakaten aller Parteien. Dafür gibt es keinen Artikel über die Frauenquote ohne Frauenbeine in hochhackigen Schuhen. Zusammengefasst: Frauen existieren nur als weiße, extrem schlanke, gesunde, heterosexuelle, normschöne, immer willige Gegenstände. Und sie sehen sich dabei oft so ähnlich, dass wir die Bilder gar nicht mehr auseinander halten können. Dadurch werden sie austauschbar, werden wir austauschbar. Wir werden zu Gegenständen. Das ist Sexismus. Das ist der Urprung von Übergriffen. Das ist der Ursprung von #aufschrei.
Sexistische Werbung bedeutet aber nicht nur die Darstellung von Frauen als Sexobjekte, sondern auch, wie Frauen als Macher*innen gezeigt werden. Oder eben nicht. Werbung in der eine Frau Auto fährt? Super selten. Selbst wenn Gruppen von Leuten gezeigt werden, die abwechselnd fahren. Sogar bei Putzmittelwerbung, die sonst immer streng Frauenbereich zu sein scheint: wenn Männer vorkommen und selbst putzen, dann als Experten, die der Frau mal zeigen, wie manns (sic!) richtig macht. Sexistische Werbung hat nicht nur Einfluss darauf, wie wir uns und unsere Körper wahrnehmen – sexistische Werbung präsentiert auch mögliche Verhaltens- und Rollenmuster, die uns prägen und an denen wir uns orientieren. Manchmal ist sie platt und klischeehaft, meistens so unauffällig, dass wir sie nicht sofort sehen, weil sie Teil unseres Alltags ist. Werbung, in der Frauen von Männern angefasst, hochgehoben, ins Wasser geworfen werden, niemals umgekehrt. Frauen werden ständig als schwach und gleichzeitig vom Mann abhängig gezeigt. Sie will Ihm gefallen, muss ihm gefallen. Mehr nicht.
All das hat Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung von Menschen. Studien zeigen, dass Mädchen Probleme damit haben, sich selbst als Macher*innen zu erkennen, dass sie Probleme haben, ihre eigenen Fähigkeiten realistisch einzuschätzen. Dass sie in Mathe schlechter werden, wenn man nur daran erinnert, dass sie Frauen sind. So sehr sind diese Klischees verinnerlicht. Aber es sind nicht nur Klischees, es sind Waffen.
Übergabe von Julia an Kathy
Die jüngste Bravo-Studie belegt, dass fast die Hälfte aller Mädchen zwischen 11 und 17 unzufrieden mit ihrem Körper und ihrem Gewicht ist. Jedes vierte Mädchen wäre gerne schlanker. Das ist kein typisches Pubertätsphänomen, denn die Zahlen steigen.
Ein Drittel aller Mädchen hat beim Essen ein schlechtes Gewissen!
Mit 17 hat bereits die Hälfte aller Mädchen die erste Diät hinter sich. d.h. bereits die Hälfte aller Mädchen hat schon einmal gehungert, um schlanker zu werden. Und 80% aller Jugendlichen glauben, dass es Dünne leichter im Leben haben. Die gleiche Studie zeigt auch, dass Mädchen weniger aktiv sind, wenn es um ihre Sexualität geht. Fast die Hälfte der Mädchen gibt an, dass das erste Mal von ihrem Freund ausging und damit nicht von beiden gemeinsam. Wie sollen sie auch zu sexuell aktiven Menschen werden, wenn sie die ganze Zeit lernen, dass sie passive Sexobjekte sein sollen?
Der Aufschrei vieler tausender Frauen Anfang des Jahres hat gezeigt, dass Frauen nicht nur medial als Gegenstände gezeigt werden, sondern täglich in allen Lebenslagen auch so behandelt werden. Das Familienministerium belegte in einer Studie, dass knapp 60% aller Frauen in ihrem Leben Opfer von sexuellen Übergriffen werden. Bei behinderten Mädchen und Frauen sind die Zahlen noch einmal höher. So lange Frauen in der Werbung als Gegenstände dargestellt werden, wenn sie mit den Produkten verschmelzen, die sie bewerben, so lange wir jeden Tag immer nur weiße, gesunde, heterosexuelle Männer als Helden, als Tuende, als Macher sehen, wird sich das nicht ändern. Denn wer macht hat Recht. Sexualisierte Gewalt gegen Frauen beginnt in den Köpfen. Und die Medien geben jeden verdammten Tag Rechtfertigungen für Gewalt gegen Frauen.
Bilder schaffen Realität. Medien schaffen Realität. Das Problem ist nicht, dass wir all diese Zahlen, Studien und Fakten nicht kennen. Wir können sie gar nicht übersehen! Das Problem ist, dass wir als Gesellschaft daran vorbeischauen. Wir wollen daran vorbeischauen. Weil es so bequemer ist! weil wir uns daran gewöhnt haben. Aber ich habe einfach keinen Bock mehr auf Gewohnheiten. Es nervt. Es kotzt mich an. Ich bin nicht zum Vergnügen von Männern hier. Ich bin eigenständig. Ich handele jeden Tag, mache und gestalte, genau wie alle anderen Frauen – egal ob sie trans oder cis, dünn oder dick, of colour oder weiß, lesbisch, bi oder hetero sind. Und wir lassen uns das nicht mehr absprechen. Wir sind Held*innen, Macher*innen, Kämpfer*innen, Denker*innen, Expert*innen. Frauen erfinden, gestalten, schreiben, denken und ich habe es satt, dass die Bilder, die uns jeden Tag umgeben, all das nicht zeigen. Im Gegenteil: sie erzählen uns jeden Tag, dass wir austauschbare Sexspielzeuge sein sollen. Aber das sind wir nicht. Wir sind so viel mehr als das!
Laurie Penny hat Recht mit dem Satz: „Wenn alle Frauen dieser Erde morgen früh aufwachten und sich in ihren Körpern wirklich wohl und kraftvoll fühlten, würde die Weltwirtschaft über Nacht zusammenbrechen“ Und eine Weltwirtschaft, die darauf basiert, dass wir uns scheiße fühlen, hat es verdient zusammen zu brechen. Lassen wir uns nicht länger von Werbung verarschen, einschränken und beleidigen. Und deswegen ist diese Demo hier so wichtig. Lasst ihr viele folgen!
Achja und jetzt kommt das Amt für Werbefreiheit. Denn Freiheit ist mehr als zwischen dreißig verschiedenen Diäten wählen zu können.