Einen Blogpost über den Niedergang der Pseudoliberalen zu schreiben liegt mir dieser Tage besonders am Herzen. Nicht nur bin ich immer wieder über das Niveaulimbo und die Uneinsichtigkeit erstaunt, auch beobachte ich den Niedergang mit einem großen Wohlwollen. Wieso? Nun, weil ich diesen Niedergang prophezeite, die von mir konfrontierten FDPler aber nicht auf mich hören wollten. Im Gegenteil – sie verweigerten mir die Mitgliedschaft. Wie ich überhaupt auf die Idee kam Mitglied werden zu wollen, soll hier geschildert werden.
Zunächst muss man dafür einen Blick auf meine Sozialisationsjahre während der Pubertät werfen. Mit 16 war ich überzeugter Bauchkommunist – ich hatte zwar nur im Internet darüber gelesen, fand aber den Kapitalismus ätzend und Marx irgendwie super. Und vor allem fand ich die Ideen hinter dem großen Begriff „Kommunismus“ ganz schrecklich unfair behandelt. Da ich ungefähr genauso viel über Marx wusste, wie ein durchschnittlicher Christ über die Bibel, kann man meinen Glauben an den Kommunismus getrost als Ersatzreligion bezeichnen. Umso tiefer war der Fall. Der wurde in meinem 18. Lebensjahr von Nietzsche provoziert. So entschied ich mich liberal zu werden. Im Zweifel für die Freiheit. Also begann ich ein liberales Denken zu pflegen, was zynischer nicht hätte sein können. Aber ich war jung und brauchte die Abgrenzung.
Hinzu kam, dass meine direkten Mitschüler gefühlt hauptsächlich aus Fahrradanmalern und Grüne Jugend – Mitgliedern bestanden und ich rebellieren wollte. Also trug ich Pink und Perlen. Auch sowas, was Paris H. kaputt gemacht hat. Es entstand eine krude Mischung aus (emotionaler) Skepsis gegenüber Linken, dem Willen zur Tussi und der Überzeugung einen Konsens mit Konservativen finden zu können. Und diese Mischung traf an der Uni Bonn auf FDPler – bzw. JuLis. Nun muss man wissen, dass diese Jugendorganisation der FDP in Bonn von Guido Westerwelle gegründet wurde und dementsprechend immer vielversprechende FDPler an der Uni Bonn zu finden waren und sind. Christian Lindner und Johannes Vogel waren z.B. meine Kommilitonen, auch wenn sie mich nie wahrnahmen. Dennoch: Dass, was ich von diesen „Liberalen“ mitbekam überzeugte mich. Westerwelle standen sie scheinbar kritisch gegenüber (Johannes Vogel wurde im Spiegel 2006 kritisch zu Westerwelle zitiert – wobei es aber auch letztlich dabei blieb) und sie wollten sozial wieder vor liberal setzen. Das gefiel mir. Natürlich kam meine linke Ader immer wieder zum Vorschein und ich machte mich in den Gesprächen mit den orthodoxen JuLis mehr als einmal unbeliebt. Dennoch: Liberal fand ich gut. Aber vor allem glaubte ich, dass die FDP liberal sei.
Dass ich dabei die Geschichte der FDP und ihre Rolle als Naziauffangbecken in der Nachkriegszeit ignorierte, wurde mir erst während meiner Arbeit im Haus der Geschichte bewusst. Parallel zu dieser Erkenntnis absolvierte ich ein Praktikum im Landtag NRW bei der FDP-Fraktion. Als ich dann noch begann Dahrendorf zu lesen, war das Verfallsdatum meiner Beziehung zur FDP endgültig erreicht. Den Anfang machte meine Auseinandersetzung mit Heinz Lange – einem „Liberalen“ mit NSDAP-Vergangenheit und Einsatz für das Deutschtum im Osten. Auch nach 1949. Als die FDP während der Ostverträge großzügig (Achtung, Zynismus!) bereit war auf das Dogma „Grenzen von 1937“ zu verzichten wechselte er zur CDU. Ein gutes Beispiel für die deutsch-nationalen mit liberalem Anstrich in Nachkriegsdeutschland. Von Friedrich Naumann will ich gar nicht erst anfangen. Bisher hatte ich nur die Freiheitskämpfer gesehen. Dahrendorf, Hamm-Brücher, Scheel. Baum. Jetzt sah ich die FDP in Gänze. Und es gefiel mir gar nicht. Wie auch?
Obwohl ich über die Jahre vor allem passiver JuLi war (und offiziell glaube ich sogar noch bin – ich warte auf einen offiziellen Rausschmiss!), mich nur mit den JuLi-Positionen beschäftigte und nun von der verabscheuungswürdigen Rolle der FDP in Nachkriegsdeutschland erfahren hatte, entschied ich mich, unter Eindruck der Lebenslaufterrorisierung, ein Praktikum im Düsseldorfer Landtag zu machen. Vielleicht wollte ich mir und der FDP auch nur den Todesstoß versetzen. Und letztlich glaubte ein Teil von mir sogar, dass ich mich, als linksterroristischer Flügel, für das sozialliberale Profil der Partei einsetzen könnte. Doch ich wurde bitter enttäuscht.
Neben der trivialen Tatsache, dass ich unglaublich freundliche Menschen traf, musste ich auf bitterstem Weg erfahren, was sich heute als Kern der pseudoliberalen Selbstdemontage herausstellt: undifferenzierte Hybris, uneinsichtiges Privilegiengepose und kognitive Dissonanz, gepaart mit Zukunfts- und Innovationsangst. Im Büro hing das berühmte Bild von Marx, Engels und Lenin, jedoch mit einem riesigen Verbotszeichen versehen und ich wurde für ein Halstuch, das man mit gutem Willen und einem Schuss Phantasie für ein Palituch halten konnte, schräg angeguckt und gefragt, wieso ich denn bitte ein Palituch tragen müsse. Auf meine Antwort, dass es sich um ein lila-pinkes Glitzertuch von Tchibo handele und auch wenn es ein Palituch sei, ich doch um eine differenzierte Meinung zum Thema Israel-Palästina bitten würde, kassierte ich nur einen herablassenden Blick. Ich Naivchen! Auch Gespräche über Demokratiereformen oder Hartz4-Empfänger verliefen frustrierend und offenbarten die absolute Realitätsferne und empathiefreie Visionenarmut der pseudoliberalen Funktionsträger. Unabhängig vom Alter. Gemeinsam hatten sie alle den Wohlstand, der meist ererbt war und die damit verbundenen Privilegien, die nur allzu gerne demonstriert wurden. Dass mir ein Praktikum bei Jorgo Chatzimarkakis empfohlen wurde, kommentiere ich an dieser Stelle nicht weiter. Denn so weit sollte es nicht kommen. Zum Glück.
Während ich nun also meine linke Seite im Diskurs mit verblendeten FDPlern aufpolierte, blamierte sich die Fraktion, damals noch Regierungspartei, mit verlogenen Vorschlägen. Beispiel: Um die Zeitungsvielfalt in NRW zu erhalten, sollten die Fusionsbestimmungen gelockert werden. Das hatte man beim Mittagessen mit der WAZ-Gruppe beschlossen. Denn, so die bestechende Logik der FDP/WAZ-Koalition, kein Rahmen garantiere den Redaktionen soviel Autonomie wie das Verlagshaus aus dem Ruhrpott. Solche Beispiele waren zahlreich. Ebenso waren es meine Tränen, die ich regelmäßig aus Verzweiflung über die menschlichen Abgründe vergoss. Abends, heimlich. Das war nicht die liberale Partei Dahrendorfs. Das waren weltfremde Dorftrottel, die calvinistischer dachten als die CDU es jemals gekonnt hätte. Dass mein Mitgliedsantrag, den ich aus Höflichkeit nicht ablehnte, als ihn mir die Mitgliederbeauftragte anbot, im zuständigen Kreisvorstand abgelehnt wurde, war nur konsequent – ich hatte mich über die Praktikumszeit nur durch zynische Kommentare und dem Hinweis, dass Guido Westerwelle der Untergang der Partei sein würde, hervorgetan. Oder erklärt, dass Che Guevara ziemlich heiß war. Trollen als Selbstschutz.
Überhaupt Guido Westerwelle. Nicht nur während meines Praktikums im März 2009 wies ich wiederholt daraufhin, dass das asoziale und dumme Gekläffe (zugegeben formulierte ich es netter) des heiligen Guidos die FDP in den Ruin treiben würde. Auch mit den FDPlern, die im Zuge der Bundestagswahl 2009 um die Erststimmen der Bonner Piraten buhlten (Westerwelles Wahlkreis liegt in Bonn), führte ich Gespräche über die „Gefahr Westerwelle“ (hierbei war ich dann weniger nett). Nach meinen furchtbaren Erfahrungen bei der FDP hatte ich mich den Piraten angeschlossen und kämpfte mit Verve gegen die asoziale FDP. Doch die jungen FDPler erklärten nur, dass Guido Westerwelle die besten Wahlergebnisse abliefere. Ja, was sollte man dazu sagen? Leistung wird in der FDP eben belohnt. Auf inhaltliche Kritik reagierten die Pseudoliberalen stets mit Abwehr. Dabei gab und gibt es zahlreiche Beispiele für die schlicht asozialen Vorstellungen der FDP-Politik. Das liberale Bürgergeld z.B. ist letztlich die Idee des Arbeitszwanges für junge Menschen und der Kürzung von Sozialleistungen.
Dass sich diese Vorbehalte in der bisherigen Regierungszeit bestätigt haben ist erstaunlich, wenn auch konsequent. Dennoch hatte ein Teil von mir immer geglaubt, dass ein Fünkchen Räson auch in der FDP versteckt sei. Doch Steuergeschenke, Einknicken vor der Pharmaindustrie und Kompromittierung der Wahlversprechen sind sogar nur die Spitze des Eisberges. Der Pseudoneuanfang der Pseudoliberalen ist ebenso eine Bankrotterklärung wie das unbedingte Festhalten an der fleischgewordenen Karikatur Westerwelle. Dafür kassiert die FDP nun die Quittung. Und ich kann mit Genugtuung behaupten: Schade, aber ich hab’s euch ja gesagt.