Die unbarmherzigen Staaten von Amerika (3/3)

Der letzte Teil meines Reiseberichts über die USA. Im Podcast WasGehtApp haben wir auch über die Reise gesprochen und bei Google+ findet ihr noch ganz viele Bilder, die ich auf der Reise geschossen habe und die alle unter CC-BY-SA stehen. English findet ihr hier: http://juliaschramm.de/translationusa3/

An der Union Station holt mich meine dritte Freundin ab. Ich bin überaus angetan von der großen Bahnstation, mit hohen Decken und Ledersesseln. Die Schilder, die betonen, dass Rumgammeln und Betteln verboten seien, nehme ich unbeeindruckt wahr. Das muss die Gewöhnung sein. Ein Highway mit kleinen bunten Häuschen und ein paar Hügeln, wo sich die Reichen vor dem Rest der Welt verbarrikadieren.

Im Auto nach Echo Park nun mein erster Blick auf die Stadt der Träume: Ein Industriegebiet mit Palmen. Ein Ort, an dem niemand leben, aber jeder arbeiten möchte. Eine Stadt, wie sie nur erfunden werden kann von verrückten Schriftstellerinnen, die eine beklemmend unschuldige Dystopie beschreiben wollen. Los Angeles, wo ein geradezu perfektes Klima herrscht, wurde so gebaut, dass Menschen niemals in ihr laufen wollen und müssen. Außer zum Auto. The City of Automobiles. Da gibt es die so genannten strip malls, die auch open air mini malls genannt werden, und letztlich doch nur ein Parkplatz mit ein paar wenigen Geschäften herum sind. Es ist schon beachtlich zu sehen, dass die Menschen in dieser Stadt, in der es das ganze Jahr über mild, warm und sonnig ist, niemals draußen sind. Sie verbringen ihre Tage in Räumen mit künstlichem Licht. So wie die Schauspieler ein perfektes Leben auf einem Green Screen vorspielen. Los Angeles ist ein riesiger Green Screen, die Projektionsfläche für ein Leben, dass es so nicht gibt, dass nur in der Inszenierung hervorblitzt. Die Wenigen, die davon profitieren, stehen einer ungezählten Menge an Verzweifelten und Mittellosen gegenüber. Bertolt Brecht, selbst einige Jahre im Exil in Hollywood, schrieb:

“Die Stadt Hollywood hat mich belehrt
Paradies und Hölle
Können eine Stadt sein: für die Mittellosen
Ist das Paradies die Hölle.”

Und so verwundert es nicht, dass der Walk of Fame einer der deprimierendsten Ort meiner Reise und generell meines Lebens war. Zwischen verschlissenen Spidermen und Wonderwomen, wolkenverhangen und voller Touristen liegen da die großen Künstler der westlichen Moderne auf dem Boden, ungewaschen, in rosa Sternform gezwängt. In Hollywood bedeutet betreten beten.

Und so fühlt sich der Regen, der in den ersten Tage meines Aufenthalts ungewöhnlicher Weise vom Himmel kommt, wie ein Zugeständnis der Stadt an meine europäisch skeptische Seele an. Und zugegeben: Los Angeles ist am schönsten im Regen, wenn die öl- und smogluft einem frischen Duft weicht, wenn die Dunstglocke angehoben wird und die Autos vor Angst langsam und behutsam fahren, ja dann ist LA am schönsten. Überhaupt sind es die Sachen, die LA ausmachen, die eins so nicht erwarten würde: Der wilde Strand in Malibu und die Kunstmuseen, der phantastische Last Bookstore und generell die verwegene Gegend in Downtown.

Die Kunstmuseen sind voller kunsthistorischer Juwelen und gänzlich leer. Die aufwendig gestalteten und gestifteten Privatsammlungen geben mir eine Nähe zu moderner Kunst, wie ich sie nie für erdenklich gehalten habe. Kontemplation ist möglich, wenn niemand dabei zusieht. Und in den Kunstmuseen LA’s, die darüber hinaus auch günstig sind, ist niemand. Warum ist mir wohl egal. Sollen sie mich dort ruhig alleine lassen.

Neben den zarten Überraschungen, die mir Los Angeles so zur Verfügung stellte, hatte ich natürlich auch einen Plan. Das Hollywoodschild photographieren, Beverly Hills durchfahren und auf dem Santa Monica Pier Eis essen. Das Photographieren gelang, auf dem Santa Monica Pier gab es noch eine extra Runde Spielhölle und in Beverly Hills hatte ich die wundervollsten Momente meines Lebens auf einer 90210 Hundeshow mit Namen Woofstock.

Inmitten von neonfarbenen Pudeln und Louboutins habe ich selten so eine intakte Filterbubble erlebt. Es begann alles mit dem Überhören einer Konversation beim Einparken. Vor den schicken Häusern auf perfekten Straßen, mit perfekter Fassade und perfekten Bürgersteigen (übrigens ist das nur in Beverly Hills so – der Rest der Straßen in LA ist ein einziges löchriges Desaster) saß ein Herr mit geföhnten weißen Haar und einem lockeren Sommeroutfit (Meine Vermutung: Seidenblouson, Leinenhose und Loafers. Alles von Armani.) in einem älteren Porschemodell und unterhielt sich mit einer Botox getränkten Dame im Joggingoutfit – was erstmal darauf schließen lässt, dass sie sich nicht anders anziehen muss. Nie. Denn zum Sport machen geht eins ja nicht auf die Straße. Sportlich gekleidet sein und Sport machen sind selten soweit voneinander getrennt wie in Beverly Hills. Zum völlig anstrengungslosen Sportoutfit trägt die künstliche Blondie eine Louis Vuitton Tasche und einen kleinen ungefärbten Pudel. Mit aufgeblasenen Lippen ist der einzige Satz, den wir von ihr vernehmen “Well, I don’t have to be Donald Trump!” – danach brechen wir in Gelächter aus. Wir sind in Beverly Hills 90210!

Auf dem Rückweg von der Hundeshow – 1000$-Hundetaschen und eine eigens ins Leben gerufene Stiftung zur Rettung eines Hundes von seiner Krebserkrankung – fahren wir am Rodeo Drive vorbei, wo die Reichen ihr Geld in angemessene Kleidung investieren. Es ist so hell und sauber, dass ich geblendet bin, die Häuserfassaden wirken wie ein Filmset aus Papier und Plastik. Ich bin versucht die Scheinwerfer zu suchen, die Kameraleute und Regisseure. Doch ich sehe nur alternde Reiche, die in der Sonne ihren 10$ Kaffee trinken und sich über den Sozialisten Obama ärgern. Und natürlich hoffe ich, dass ihr neongrün gefärbter Hund sie beißt.

Beverly Hills ist eine Welt, die ich mit Faszination aus dem Autofenster betrachte, die eine Anziehung auf mich hat, weil sie ein Symbol ist für die Dekadenz einiger weniger auf Kosten aller. Ein Symbol für eine Welt, in der Menschen glauben, dass sie legitimiert seien einen Großteil der globalen Ressourcen für ihr privates Vergnügen verschwenden zu dürfen. They feel entitled. Doch so lange die Mehrheit der Bevölkerung dies mit Bewunderung und Ehrfurcht betrachtet, sich selbst in die albernen Villen wünscht und auch einen 5000$ Hund neonpink färben möchte, wird sich wohl nicht viel verändern. Und diese Haltung hat auch die immer noch andauernde Rezession nicht verändert. Noch.

Meine eigene, harmlose Erfahrung mit den Untiefen des Systems machte ich mit einem Schnitt in die Hand. Nicht weiter schlimm. Bis meine Hand anfängt zu kribbeln, taub zu werden und sich eine riesige Blutlinie auf meiner Hand bildet. Binnen kurzer Zeit steuere ich auf eine Blutvergiftung zu. Also ab zu Urgent Care – bloß nicht in den Emergency Room, sagt mir meine Freundin. Sie fährt mich. Was auch sonst. Der Arzt versorgt mich, gibt mir Spritzen und rät mir das von mir importierte Antibiotika zu nehmen. Danach verlangt er 300 Dollar von mir – bar oder mit Kreditkarte. Dass sei günstig bestätigt mir meine Freundin. Mit einem Verband und Handschuh gesegnet gerate ich die nächsten Tage immer wieder in Unterhaltungen, in denen nach kurzer Zeit Sätze fallen wie “Man geht hier halt nicht zum Arzt.”

Auch hier bestätigt sich nur, was ich schon wusste. Und doch: Es aus dem Mund dieser jungen, ambitionierten Menschen mit all den Schulden für ihre Ausbildung zu hören, schockiert mich. Und mehr noch ist die Haltbarkeit der Legitimationsrhetorik sonderbar, die sich in die Köpfe der Menschen eingebrannt zu haben scheint, zutiefst durchzogen von Calvin und anderen Scharlatarnen, die es geradezu verbietet obszönen Reichtum zu kritisieren. Dabei: Es ist genug. Genug mit den Lügen von der Leistungsgesellschaft. Genug mit der Ehrfucht vor denen, die diese Welt ausbeuten. Genug mit den Fassaden, die so hochglanzpoliert sind, dass sie ihren Gegenübern die Augäpfel verbrennen. Genug. Zumindest das lernte ich von den ausgestellten Staaten von Amerika.