Die ZEIT und Fremdschämen

Liebe ZEIT,

wie ich durch Zufall erfuhr, bin ich in der dieswöchigen Ausgabe der ZEIT unter dem sogar recht witzigen Titel „Liquide Spießer“. Leider berichten sie nicht über meine politischen Ziele (BGE oder Transparenz, aber auch Außenpolitik), wie man das im Politikteil erwarten würde, sondern über meine Verlobung. Damit reihen sie sich in eine Berichtesequenz ein, die der ZEIT meiner Meinung nach nicht würdig ist. Vielleicht bin ich auch einfach naiv, dass ich die ZEIT bisher noch zu den seriösen Medien gezählt habe. Nun gut – wer Öffentlichkeit sucht, findet sie auch. Damit habe ich kein Problem. Mit ihrer Prioritätensetzung allerdings schon.

Auf Twitter schrieb ich über den Antrag – klar erkennbar, und vor allem in dem Bewusstsein, dass meine Twitterfollower, allesamt mir ans Herz gewachsen, sich mit mir freuen, was sie auch getan haben. Garantiert nicht in dem Bewusstsein, dass die ganze Canaille, äh Journaille sich darauf stürzt. Natürlich gibt es auf Twitter immer Menschen, welche die eigenen Entscheidungen ablehnen – aus welchen Gründen auch immer. Ich werde mich auch zu meinen Beweggründen nicht weiter äußern und bin immer noch verwundert über das Medieninteresse. Mir schwant gerade, wieso Menschen wie Simone de Beauvoir oder auch Angelina Jolie und Brad Pitt nicht heiraten wollten bzw. wollen. Bei so einem lächerlichen Getue ist es kein Wunder. Dass die Bild darauf anspringt und die BZ – geschenkt. Auch die WELT und die Morgenpost verwundern mich nicht. Aber die ZEIT?

Nun, ich hatte ja auch zu Beginn mit der BZ gesprochen, die mich anrief. Den Schwerpunkt hatte ich dabei auf die Proteste in Ungarn gelegt. Wir waren schließlich als Protest gegen die neue Verfassung des Regimes Orbans über Silvester in Budapest. Ich hoffe ihren Redakteuren ist gewahr, was in diesem Land passiert. Also hoffte ich das Thema zu promoten, deswegen sprach ich mit dem Redakteur. Leider berichtete die Journaille schwerpunktmäßig über die Verlobung – natürlich, wie ich es mir auch hätte denken können. Dennoch erwähnten sie zumindest in einem Nebensatz die Reise und den Anlass. Wenigstens das. Auch erwähnte die Bild, dass wir das Ehegattensplitting ablehnen und keine kirchliche Hochzeit planen. Wenigstens wurden ein paar Inhalte vermittelt.

Was ich in der ZEIT jedoch lesen muss, schlägt dem Fass den Boden aus. Ich schäme mich lesen zu müssen, dass das einzige Problem in diesem Schauspiel ist DASS MEIN RING ZU BILLIG IST.

  • Es ist ein Problem, dass in diesem Land immer noch nicht alle Menschen eine voll akzeptierte Ehe mit allen Rechten schließen dürfen.
  • Es ist ein Problem, dass wir überhaupt heiraten wollen und unsere Privilegien ausnutzen.
  • Es ist ein Problem, dass die Journaille sich im 21. Jahrhundert an einer Verlobung ergötzt.
  • Es ist ein Problem, dass sich viele Menschen selbst einen Verlobungsring für 79 € kaum leisten können. (Die dürfen aber ihrer Meinung schon heiraten, oder ist das auch zu peinlich?)

Es ist jedoch KEIN Problem, dass mein Verlobungsring ein vergleichsweise günstiges Exemplar ist. Denn, so liebe Zeit, worauf kommt es denn eurer Meinung nach bei einer Verlobung an? Für mich kommt es auf einen Liebesbeweis und Gedanken darum an. Auf das Schließen eines Bundes. Und Gedanken hat sich mein Zukünftiger gemacht. Wesentlich mehr als ihr Redakteur bei diesem billigem und peinlichen Stück Schrift … als Artikel mag ich die Buchstabenreihe nicht bezeichnen.

Abgesehen davon:

Wir sind in der größten Wirtschafts- und Politikkrise seit 1945, das Projekt Europa zerfällt uns in unseren Händen, immer mehr Menschen sind auf Müllreste angewiesen und das einzige Problem, dass die ZEIT bei (m)einer Verlobung sieht ist, dass der Ring zu billig ist? KLAPPTS NOCH? Ich schäme mich. Und sie sollten sich auch schämen im POLITIKTEIL so eine lächerliche Posse abzudrucken. Ist es als Satire gedacht? Wenn, dann ist sie gründlich misslungen.

Wissen sie, dass ich bewusst keinen „dicken Klunker“ wollte? Dass ich ein NEIN angedroht habe, sollte so einer klassischer Ring in einer Schatulle sein? Dass ich NEIN sagen würde, wenn es ein Diamant oder Diamantenersatz klassischer Statur gewesen wäre? Dass ich Swarovski als legitime Alternative ANGESAGT habe?

Ich verweigere mich klassischen Diamantringen, denn sie sind ein Symbol für die Unterdrückung Afrikas. Sie sind ein Symbol für die Ungerechtigkeit auf diesem Planeten. Sie sind ein Symbol für Dekadenz und Ignoranz. Sie sind ein Symbol für die bitterste Geschichte Europas. Das sollten sie wissen. Das sollten sie verstehen.

Aber vielleicht ist es für die ZEIT ja erstrebenswert, dass Menschen sich Ringe kaufen, deren Steine von Minderjährigen in Bergwerken herausgekratzt werden – für 1$ die Woche. Vielleicht ist es der ZEIT ja wichtig, dass Menschen den billigen Status einer blutleeren Gesellschaft bedienen. Hauptsache teuer. Hauptsache oberflächlich.

Schämen sie sich, liebe ZEIT. Es war das letzte Mal, dass ich diese „Zeitung“ erworben habe.

Julia Schramm

P.S. Wenn jemand den Artikel als Dokument hat, wäre ich sehr verbunden. Ich habe vor Wut die ganze Zeitung weggeworfen.

P.P.S. Dieses Lied dazu hören: http://www.youtube.com/watch?v=OUfVByQmP74&feature=autoplay&list=PLB74D4EB6C4309AC0&lf=plpp_video&playnext=18

Update:

Wie ich also nun lernte und es befürchtet hatte, handelt es sich bei dem Stück Schrift tatsächlich um Satire. Ehrlich gesagt habe ich damit sogar noch größere Probleme, da gute Satire einen wahren Kern hat und sich über die bestehenden Verhältnisse so lustig zu machen weiß, dass eben diese kritisiert werden. Davon erkenne ich hierbei jedoch NICHTS. Die von mir oben benannten Probleme hätten eine wunderbare Grundlage für Satire sein können, JA selbst die total verkitschten Umstände des Antrages, das Altbackene, die Naivität mit der es gepostet und sich nachher über die Aufmerksamkeit gewundert wurde. Die Absurdität der Journaille, etc.

Abgesehen davon: Bin ich blind, oder war der Preis des Ringes nicht wirklich Thema in der Debatte? Ja, dass die BILD den Preis postete, ok, das wäre Anlass für eine Debatte vielleicht gewesen, oder? Also ich habe NICHTS gelesen, dass jemand den Preis bewertet hätte, oder sich über den popeligen Ring ausgelassen hätte. Das tut hier nur die ZEIT. Sonst einfach niemand.

Und somit muss ich jedoch davon ausgehen, dass der Autor keinerlei moralischen Kompass mehr hat, wenn er es als satirisch ansieht sich über den Ring und seinen Preis lustig zu machen. Ist das wirklich das einzige, was ihnen in den Kopf kommt Herr Schmidt? WIRKLICH? Dass ist so traurig … wenn ich nicht so wütend wäre, würde ich weinen. – denn: Wo ist der wahre Kern? Der wahre Kern ist, dass man altbacken heiratet, aber dann nur einen BILLIGEN Ring nimmt? Aha. Ja, ok, ich lache laut. Nicht. Mit ihrer Pseudosatire stellen sie sich und ihre widerliche Denkweise bloß.

Liebe Zeit, ich kann euch bei Bedarf eine Satire schreiben. Über die Absurdität, dass prominente Vertreter einer emanzipatorischen Partei patriarchale Strukturen reproduzieren, zum Beispiel. Fürn Hunni ist das geritzt.

Und hier jetzt also der SUPERLUSTIGE Beitrag. Haha, schon alle total super drüber gelacht? Danke an Herrn Drop, der sie mir in die Dropdox droppte 🙂