Linke und Vorurteile

Update: Da es um den Text zahlreiche Konfusionen bezüglich der Ernsthaftigkeit gab, ein kurzes Statement dazu: Der Text ist 2006 im Zuge einer Studiengebührendemo entstanden, hochgradig fiktional und übertrieben, deswegen als Satire gedacht.

Ein verregneter Vormittag im Mai. Eine engagierte Gruppe von Studenten hat zum Protest aufgerufen. Ein hübscher Laster wurde bemalt und angekarrt. Eine Bühne ist installiert und ein Stand mit Info-Material über die düstere Zukunft der Hochschulen befindet sich am Wegrand. Es ist noch vor 12 Uhr und der harte Kern der Studiengebührengegner hat sich bereits versammelt. Ein Teil trinkt Bier, ein andere Teil sieht erschreckend ungepflegt aus. Buttons werden von bunthaarigen und gepiercten Menschen verteilt, die einen bösartig angucken. „Scheiß-Bullen“ sagen die Buttons. Neben der Aufforderung keine Aussage im Falle einer Festnahme zu tätigen befindet sich eine Telefonnummer – für advokatische Hilfe.

Ich trage Stiefel und eine enge Tommy Hilfiger – Jeans. Meine Haare sind perfekt gestylt und mein Make-up ist sorgfältig. Die kleine rote Tasche passt perfekt zu meinem roten Lackgürtel. Mein Handy, ein pinkes Klapptelefon, klingelt. Irgendetwas hemmt mich diesen Anruf entgegen zu nehmen. Die Blicke sind unerträglich. Für einige bin ich bestimmt auch fickbar. Ich fühle mich fehl am Platz.

Dabei bin ich doch auch gegen Studiengebühren. Bildung muss kostenlos sein und bleiben. Niemals wieder darf der gesellschaftliche Status über den Grad der Bildung entscheiden.

„Es darf überhaupt keinen gesellschaftlichen Status geben!“, erklärt mir der süße Typ mit dem Bundeswehrparka, den langen Haaren und dem Bart bestimmt. Ich stehe ja auf diese Ché-Guevara Ausstrahlung. Warte mal! Hat er gerade die klassenlose Gesellschaft gefordert? Mir würde gerade reichen, wenn Studieren nicht 500€ extra pro Semester kostet. Na ja, denke ich, Idealisten finden sich überall. Braucht es ja auch. Pluralismus, Baby! Außerdem ist der Typ echt scharf! Er entschuldigt sich und springt auf die Bühne. Wow, denke ich mir, eloquent scheint er auch zu sein. Ich erwarte ein flammendes Plädoyer für die Humboldt’schen Werte, für die Bildung, für die Gerechtigkeit. Und hoffe auf ein Date.

Der scharfe Typ kündigt leider nur die eigentliche Rednerin an. Schade, aber gleich werde ich es noch einmal versuchen. Wer kann mir schon widerstehen?

Eine junge Blondine betritt die Bühne. Sie trägt eine Existenzialistenbrille und ihre Klamotten flattern einträchtig mit ihren Haaren. Sie hat ein hübsches Gesicht und eine süße Figur, soweit man das erkennen kann. Die Haare hochgesteckt, eine unauffälligere Brille und passende Klamotten, denke ich mir. Wieso verstecken? Bevor sie anfängt zu reden spielen die Boxen „We don’t need no education…“. Doppelte Verneinung im Englischen funktioniert als Verstärkung. Und ja, ich weiß, was sie sagen wollen, aber … die Szene beginnt bizarr zu werden.

Die junge Dame beginnt zu sprechen. Ich habe Probleme ihr zu folgen, da sie panisch von ihrem Blatt abliest. Ich höre die Worte „Scheiße“ und „System“ raus. Ich stocke kurz. Wo bin ich hier. Das soll eine Demonstration gegen Studiengebühren sein? Höre ich da das Wort „neo-kapitalistisch“? Langsam bekomme ich Angst. Die Weltrevolution naht!? Um mich herum scheinen die Menschen verstanden zu haben. Sie bejubeln die Rednerin frenetisch. Weg hier.

Also den scharfen Typ suchen. Ich erblicke ihn am Info-Stand und freue mich ein bisschen, weil ich merke, dass er mich angrinst. Das Gespräch läuft gut. Wir flirten richtig miteinander. Plötzlich taucht von hinten ein bekanntes Gesicht auf.

„Was will denn die liberale Neofaschistin hier?“

„Ich bin auch gegen Studiengebühren…“, flüstere ich kleinlaut und eine wilde Diskussion über eine Aussage meinerseits in einem Seminar beginnt. Der scharfe Typ guckt mich mitleidig an und geht. Und das nur, weil ich die Rezeption des Kommunismus im „Schwarzbuch des Kommunismus“ für angemessen halte.

Frustriert mache ich mich auf den Weg nach Hause. Ich wollte doch nur meinem Unmut über die drohenden Studiengebühren Ausdruck verleihen! Ich bin doch auch gegen die Einführung von Studiengebühren! Ich halte es doch auch für sozial ungerecht! Ich wollte doch auch protestieren!

Statt dessen sitze ich jetzt frustriert in der Bahn und frage mich warum ich nicht mitmachen darf beim Protest gegen die Studiengebühren. Verboten hat es mir explizit keiner, aber keiner mochte mich! Keiner wollte, dass ich meinem Unmut in lautem Protest Ausdruck verleihe! Dann halt nicht, ihr links-dogmatischen Spinner!

Die Bahn stockt. Durch die Lautsprecher tönt die Nachricht, dass die Innenstadt von Demonstranten blockiert ist. Jetzt reicht es! Ich bin sauer. Mein Denken vernebelt. Wo sind wir denn? Kein Rektor dieser Welt wird sich von solchen Methoden beeindrucken lassen. Und wer leidet? Die armen Zivilisten in der Bahn, die Termine und keinen Bock haben! Ich bin regelrecht wütend und werde morgen einen Artikel gegen diese verdammte Demonstration verfassen! Echt jetzt!