Oberfläche und Frausein

Wieviel kognitive Energie wohl bei einer durchschnittlichen Frau für die Sorge um ihre Figur draufgeht? Ohne von einer empirischen Basis ausgehen zu können, ist die Frage zweifelsohne mit „zu viel“ zu beantworten. Es geht hierbei vor allem um Rollen, Erwartungen und Angst. Und um Verschwendung im unverantwortbarsten Ausmaß.

Es beginnt meist in jungen Jahren schon – gemästet von der Repräsentation idealer Weiblichkeit in der Medienkultur – mit spitzen Kommentaren post-pubertärer Damen. Meist zielen sie auf die Jugendlichkeit und Unbekümmertheit, des Segens sich seiner Figur und der Falschformation noch nicht bewusst sein zu müssen und dem gut gemeinten Rat, dass es im Alter alles sehr anstrengend wird. Wenn ein junger Mensch (in der Mehrheit weiblich) schon in jungen Jahren mit einer ausgeprägten Figur gesegnet ist, werden die Ratschläge schon offensiver, deutlicher und schaffen es, selbst Normalgewichtige zu irritieren. Schließlich ist man ja nur im Moment „normal“ – aber Spielraum nach oben? Denn an der Figur – besonders im hohen Alter – hängt die Beziehung zum männlichen Geschlecht. Nur die Dünnen können ihre Männer halten!! VERGISS DAS NIE, DENN OHNE MANN BIST DU NICHTS. (Die Realität sieht natürlich anders aus – oftmals genau gegenteilig, was wohl auch zusammenhängt. Aber das weiß man ja mit 12 nicht. )

Ganze Generationen von Frauen haben sich in der Hauptsache einer schmalen Taille gewidmet. Im Laufe der Jahrzehnte kamen so Dinge wie „Michelle ObARMa“ dazu. Oder ein gebleichter Intimbereich. Die Liste ist so lang wie absurd und wirft alsbald noch absurdere Fragen auf, die unaufhörlich gegen das eigene Selbstwertgefühl hämmern. Fragen nach der richtigen Form diverser Körperteile, richtiger Proportion, der richtigen Zurschaustellung, des richtigen Einsatzes und, und, und … Fragen nach Mode sind hierbei noch nicht berücksichtigt. Die Begrenzung auf eine spezifische Vorstellung des weiblichen Körpers (zur Zeit 90-60-90-langhaarig-schmollmund-pornostyle) erschwert die Anpassung der meisten Frauen, bei gleichzeitiger Bevorzung derer, die diesem Bild leichter entsprechen. Doch lastet der Druck dann auf Erhalt und gar Verbesserung des gesellschaftlich gewünschten Körpers. Gerade wegen der guten Vorraussetzungen.

Und so dreht es sich fort und fort um Kalorien, Fettanteil und Fliehkräfte. Alles getarnt unter dem Glaube an den unbedingten Willen. Dünn sein ist schließlich nur eine Frage des Willens. Mehr nicht. Bist du zu schwach, wirst du dick. Und Frauen sind ja per se willensstark – mit diesem Willen kontrollieren sie ja auch ihre Sexualität, um Männer zu manipulieren. Da sind doch konstant 58 kg keine Herausforderung!

Die Auseinandersetzung mit diesem Text ist nur ein Bruchteil dessen, was täglich an geistiger Energie in dem Erstreben des Schönheitsideals oder Bedauern über fehlenden Willen fließt. Diese Energie fehlt. Sie fehlt überall. Sie fehlt auch mir. Und ich werde ihrer Verschwendung entsagen. Ich habe keine Lust mehr mich verrückt zu machen, weil ich für Karl Lagerfeld fett bin; weil ich für manche Designs nicht die richtige Figur habe; weil ich nicht aussehe wie Kate Moss. Ich bin es leid mich mehr mit meinem Aussehen, als mit meinen Inhalten zu beschäftigen. Ich will mich nicht mehr hassen, weil ich nicht frisch geshoppt aussehe. Ich will mich nicht mehr über mein Gewicht definieren. Ich bin es leid mich hinter dem Schönheitsideal zu verstecken, mein Potential selbst zu torpedieren aus Angst vor echter Verantwortung. Heute wog ich mich – 78 Kilogramm. Und ab morgen werde ich mich nicht mehr dafür schämen. Oder hassen.