Meinung und Freiheit

Dieser Eintrag ist unter Eindruck massiver Beleidigungen und Bedrohungen entstanden. Er ist höchst emotional und irrational, denn anders kann man diesem Hass und seiner Dimension nicht gerecht werden. Ich will meine Tränen nicht verstecken müssen, meine Angst verheimlichen. Ich will, dass jeder weiß, wie es mir geht in solchen Momenten, wo eine digitale Inquisition begonnen wird. Ich will dokumentieren, dass ich für meine Ansichten gehasst werde. Ich will, dass sich Menschen betroffen fühlen. Ich will euch meinen emotionalen Schutt ins Gesicht reiben. Und es ist mir egal, wie ihr das findet.

Liebe Welt,

der heutige Tag war einer der schlimmsten, seit ich im Internet wohne. Er hat mir fürchterlich die Tränen in die Augen schießen lassen und ich bin immer noch ganz benommen von der Wucht, mit der ich mich diesmal habe treffen lassen. Und während die Tränen weiter um den gekrümmten Mund kullern, habe ich mich entschlossen, mir nicht länger zu erlauben, unter den Beleidigungen, der Hetze und der Angstmache leiden zu müssen. Aber zunächst erzähle ich einmal, was genau geschehen ist. Wie du weißt bin ich immer schon mit meinen Ansichten und Ideen angeeckt, war oftmals nicht in der Lage meine Ideen von dir und der Wirklichkeit missverständnisfrei zu kommunizieren und habe mich lieber mit den Texten von Toten beschäftigt – die beleidigen einen nämlich eher selten, wenn man ihre Meinung nicht teilt bzw. manchmal muss man einfach weiter lesen und akzeptiert die Beleidigung vielleicht sogar.

Bereits früh eckte ich in der Schule an, als ich die Heuchelei um die Trauerbekundungen zu den Anschläge von 9/11 kritisierte oder die Alleinschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg in Frage stellte. Ich eckte an mit meinen Forderungen nach einem Zustand deiner, indem sich Menschen wenigstens die Mühe machen anzuerkennen, dass ein Teil deiner Bevölkerung auf Kosten des anderen Teils lebt. Auch im Studium provozierte ich Widerstand mit der Aussage, dass 8 Milliarden Autos nicht das Ziel unserer Gesellschaft sein dürften, oder mit dem Hinweis, dass ich die USA nicht mehr für eine liberale Demokratie halte. Auch mit meinem zynischen Humor habe ich mir in der Vergangenheit nicht immer Freunde gemacht. Und schließlich bin ich auch kein schlechter Troll. Immer schon wurde mir übertriebener Gerechtigkeitssinn vorgeworfen, Naivität, ein fehlender Blick für die „menschliche Natur“ und natürlich das Verkennen von (unumstößlichen) Realitäten. Und Arroganz. Oder eine grauenhafte Agenda. Aber das hat bei Frauen mit Meinung tatsächlich eine lange Tradition.

Und so sollte es auch bei den Piraten seinen Lauf nehmen. Zunächst trat ich mit Verve ein und wurde ebenso hofiert, wie das (jungen, attraktiven) Frauen eben passiert in Parteien – man genießt einen Vertrauensvorschuss, soll für alles kandidieren, was zur Verfügung steht und immer nett lächeln. Man kann sich in Anerkennung suhlen. Und so blieb es, bis zu dem verhängnisvollen Moment, wo ich eine eigene Meinung kund tat. Zugegeben war das Medium etwas großspurig und ich selbst auch vollkommen überfordert. Aber das habe ich ja alles schon geschildert. Wieso nun wieder eine neue Welle des, ja, blanken Hasses, der Verleumdung und der Bedrohung? Nun, ich wurde vor einiger Zeit gefragt, ob ich für den Kaperbrief (eine ganz tolle Mitgliederzeitung aus Berlin) einen Beitrag schreiben wolle – das Thema sei diesmal Datenschutz und es solle eine Gegenüberstellung geben von Datenschutzverfechter und -kritiker. Gar der taz sollte die Ausgabe beiliegen. Ich willigte ein und schrub also meinen Beitrag. Die Kriterien für diesen Beitrag waren für mich in erster Linie an das taz-Publikum gerichtet, das sich mit den Ideen und Überlegungen zum Thema Datenschutz(-kritik) wohl weit weniger beschäftigt hat, als der gemeine Twitterer. Nun, also machte ich es mir zum Ziel in angemessener Sprache diese Überlegungen zu rekapitulieren, sie in Kontext zu setzen. (Der Kaperbrief setzte meine Meinung der Parteimeinung sogar entgegen und erwähnte meine Mitgliedschaft nicht, so wie ich das auch gewollt hatte) Als ich den Beitrag nun beendet hatte, fragte ich im IRC (Spackeria-Channel) an, ob ich bitte kritische Meinungen haben könnte. Prompt wurde ich gefragt, ob der Artikel für die Flaschenpost genutzt werden dürfte. Und auch wenn der Artikel für die Partei grundsätzlich recht redundant ist – zumindest ist er schön geschrieben! Also willigte ich ein und ging arglos in die Twitterpause.

Doch was heute auf mich einprasselte, hat die bisherigen Shitstorms in seiner niederträchtigen Qualität glatt noch einmal übertroffen. (Ja, ich habe meinen Urlaub unterbrochen, indem ich die Twittersuche mit meinem Namen fütterte) Doch was geschah genau? Unter dem Artikel in der Flaschenpost wurden unglaubliche Beleidigungen verfasst und scheinbar sogar eine Ddos-Attacke auf die FP-Seite gestartet. Zunächst musste ich grinsen und fragte mich, ob „geddost“ werden eine Qualifikation für den Lebenslauf ist. Auch auf Twitter liefen die üblichen Verdächtigen wieder Sturm – soviel Hass, wie gegen mich gehegt wird – da nehme ich es glatt schon als Kompliment, denn wer kann schon von sich behaupten, ganze Menschengruppen mit so wenigen Worten für so lange Zeit emotional so zu berühren? Und auch wenn ich die Beleidigungen, die Verleumdungen und die sexualisierten Bedrohungen gewohnt bin – gewöhnen kann ich mich nicht an sie, sie machen mich traurig, sie tun mir weh. Besonders getroffen hat mich hierbei ein Tweet (Es handelt sich um einen Pirat, zumindest nach der Biographie des Schreibers zu urteilen), der dazu aufruft mich mal „zu bummsen“ – inwiefern mein Einverständnis dafür vorausgesetzt wird, frage ich mal vorsichtshalber nicht. Jedoch schwingt hier mit, dass es sich um eine objektive Notwendigkeit zu handeln scheint, dass Mann mich sexuell zu züchtigen habe – Notzucht quasi. Meine sexuelle Selbstbestimmung muss an der Stelle nicht respektiert werden – schließlich handelt es sich um eine notwendige Maßnahme, um mir meine Meinung auszutreiben, meine Verirrung. Mir wird direkt ein Gefallen getan! Für mich ist das indirekt ein Aufruf zur Vergewaltigung und ich fühle mich degradiert und zutiefst beleidigt. Dass mag der eine oder andere übertrieben finden – aber das ist mir egal. Ich will und werde mich an diese Form der übergriffigen Kommunikation nicht gewöhnen; ich werde mich wehren, auch wenn die Beschimpfungen dann wohl noch massiver werden. Denn schlimmer ist eigentlich, dass es nicht das erste Mal ist, dass solche Aussagen getroffen wurden, dass ich diesen regelmäßig ausgesetzt bin und es sogar Menschen gibt, die der Meinung sind, dass ich mir diese Attacken einbilde, ja inszenieren würde. Sexuelle Belästigung gibt es auch im digitalen Raum und ich lasse mir das nicht länger gefallen und werde alle (sic!) legalen Formen in Betracht ziehen, um mich zu wehren.

Dass ich mich wehren kann und wehre, habe ich oft genug gezeigt. Wer mich öffentlich beleidigt, mir private Nachrichten mit unverschämtem Inhalt schickt und mich am laufenden Band verleumdet – gegen den wehre ich mich. Diese Menschen beleidige ich alleine deswegen, weil ich es nicht mehr in mich hinein fressen kann, was sie mir an den Kopf werfen. Emotionale Notwehr. Ich lasse mich nicht fertig machen, ohne zurück zu schießen. Auch wenn das vielleicht nicht dem gängigen Frauenbild entspricht oder fair ist. Auch wenn es dabei manchmal Leute mehr trifft, als sie es verdient haben. Bei jeder Äußerung von Teilen der eigenen Partei digital verprügelt, bespuckt und sexuell belästigt zu werden ist nicht so leicht zu verkraften, wie das vielleicht von außen aussieht. Da reagiere ich auch irrational und beleidige zurück – selbst wenn ich weiß, dass es unnütz ist und es mir oft im Nachhinein leid tut. Wenn ich angegriffen werde, kämpfe ich. Punkt.

Und was passiert? Natürlich – diejenigen, die am härtesten gegen mich hetzen, mir beleidigende nicht-öffentliche Nachrichten schreiben und mich bei jeder Gelegenheit zu verleumden versuchen fühlen sich als Opfer. Ich hetzte also gegen Andersdenkende? Das Wehren gegen Beleidigungen ist nun also fehlender Respekt vor der Meinungsfreiheit? – Wo sind die Bodo Thiesens dieser Partei in diesem Moment, wo die Meinungsfreiheit so bekämpft wird? Die Stalinisten konnte ich bereits identifizieren.

Wenn mein LV in Berlin nicht voller so toller Menschen wäre und kurz vor der Wahl in Berlin stehen würde – ich wäre ausgetreten. Und zwar heute.

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Update: Liebe Kommentatoren – Danke! Ich habe glatt noch einmal vor Rührung ein bisschen Tränen vergossen. (Einmal nah am Wasser … ) Ich danke für die Mutmachung, die Unterstützung, das Verständnis. Und auch eine Entschuldigung gab es. Ich habe lange gezaudert, aber jetzt weiß ich, dass es der richtige Schritt war <3