Ich und Ich

Liebe Julia,

zuerst möchte ich dir danken. Wirklich. Du hast es geschafft eine Marke zu setzen und eine Debatte zu entfachen, die trotz ihres beschränkten Relevanzkreises notwendig ist. Denn einst steht fest: Datenschutz ist sowas von aus den 70ern. Aber das ist ja geradezu eine Binsenweisheit, der sich alle, die sich mit den digitalen Sphären beschäftigen, anschließen können. Eine Reform ist nötig. Trotzdem ist die Debatte wichtig, denn sie öffnet das Tor zu einer heterogenen Auseinandersetzung mit der digitalen Revolution. Dass du nun das Gesicht der Gegenbewegung zum klassischen Datenschutz geworden bist, ist interessant und ich hoffe, dass du die Angriffe, die Pauschalisierungen, die Bedrohungen und die sexuell motivierten Sprüche ertragen wirst. Wie ich gelesen habe, mutierst du zur Feministin – scheint unausweichlich nach einem mittelschweren Shitstorm. Bin gespannt, was da noch kommt. Und für Grau braucht man immer auch schwarz und weiß! Ob du alle Thesen auch wirklich vertrittst, die im Umfeld der Spackeria kommen, bezweifele ich jedoch. So oder so ist es mal schön zu sehen, dass eine junge Frau als Blitzableiter funktioniert. Nun denn, nicht zuletzt hast du deinem Narzissmus wohl einen umfassenden Gefallen getan! Fühlt sich gut an so ein I-Promi zu sein? Ich weiß nicht – ist der Elfenbeinturm nicht viel spannender? Schreibst du nicht eigentlich auch an einer Doktorarbeit? In der Wissenschaft würdest du dich bestimmt nicht schlecht machen. Willst du das nicht lieber machen?

Ich schreibe dir an dieser Stelle nämlich, weil ich dich warnen will – und zwar vor dir selbst und deiner Naivität oder gar Selbstüberschätzung. Und nicht zuletzt vor deinem eigenen Wissen über die Geschichte und der resignierenden Ignoranz. Lese ich dein Blog, so fällt mir auf, dass du ein sehr nachdenklicher Mensch zu sein scheinst – ein reflektierter und kluger Mensch bisweilen. Allerdings etwas unüberlegt und impulsiv. Kann es sein, dass die Reflektion bei dir oft später einsetzt? Oder hast du dich einfach mal entschieden deine Selbstzweifel zu ignorieren und zu gucken was passiert? Die Einzigartigkeitswünsche mal radikal für sich sprechen lassen? 😉 Ich hoffe ja, dass es sich auszahlt und du eine Menge lernen kannst.

Erstmal jedoch eine konkret inhaltliche Kritik, die natürlich nicht fehlen darf: Die Idee, das Individuum abzuschaffen war die Grundlage für die mörderischen Ideologien des 20. Jahrhunderts. Und auch wenn wir die Folgen des Humanismus und der Konzentration auf den Menschen kritisieren müssen, so ist es doch falsch den Individualismus und das Recht des Einzelnen als Institution in Frage zu stellen. Und hier kommt nun die Privatsphäre ins Spiel: Privatsphäre ist ein sperriges Wort, welches die meisten Menschen nicht verstehen. Du, zumindest gemessen an deinen bisherigen Medienauftritten, auch nicht. Privatsphäre bedeutet die ìnstitutionalisierte Sphäre des Ichs, meine Welt, die so unabhängig und unbeeinflusst sein sollen darf wie möglich. Die Frage, wie dieses Ich – und die Sphäre dessen – geschützt werden können ist die Verantwortung, die uns das 20. Jahrhundert mitgegeben hat. Auch im digitalen Zeitalter. Stimmst du mir da zu? Oder reihst du dich ein in den Katzenjammer um die Moderne? Bist du eine dieser verschrobenen Anti-Modernisten, die sich den Utopien hingeben und dafür den Menschen ändern wollen? Betrachte ich deine Magisterarbeit und deine Auseinandersetzung mit dem deutschen Nationalismus und Sozialismus, so ergibt sich mir jedoch ein anderer Gedanke, der dich wohl besser widerspiegelt: Du bist nämlich eigentlich durchdrungene Fatalistin. Und das ist, in Kombination mit Geltungssucht viel, viel schlimmer als romantischer Anti-Modernismus. Denn es macht dich zum geistigen Brandstifter. Wenn du im Sinne von @mspro kein Optimist bist und einfach mal so die Debatte befeuerst, dann ist das mutig, aber auch fahrlässig. Willst du nur einen positiven Impuls geben, ohne wirklich daran zu glauben? Willst du die Umstände anprangern, indem du eine Vision formulierst, die diese Umstände radikal offen legt? Und was soll dann dieses „Keine Macht den Datenschützern“? Grundsätzlich machen die eine sehr gute Arbeit. Natürlich treten sie ab und an wie Mütter auf, die meinen alles besser zu wissen. Aber die Richtung stimmt, auch wenn sie bevormunden und Gesichtserkennung verbieten wollen!

Wahrscheinlich blickst du in die Geschichte und siehst all die Wellen des Guten und des Schlechten und die Unvermeidbarkeit von Krieg, die immer wieder auftauchenden Verhaltensstrukturen des Menschen und die ewigen Hierarchien. Du siehst die Gewalt von Entwicklungen, die den Einzelnen ignorieren und du siehst wie einzelne berühmt werden, scheinbar zufällig, aber nie mit einem wahrhaft guten Impetus. Dein Menschenbild ist weder positiv, noch negativ, es ist vielmehr relativ und gleichgültig. Menschen kommen und gehen, sind doch nur eine Amöbe in den unendlichen Weiten des Universums, nicht wahr? Sie überschätzen sich, sie nehmen sich zu wichtig und verstehen doch nicht, dass sie eigentlich austauschbar sind, oder? Und genau hier, an dieser Stelle, muss die Kritik an dir und deinem Auftreten ansetzen: Du kannst nicht einfach durch die Gegend laufen, nihilistisch und reflektiert, und glauben, dass die Menschen deine Absichten verstehen! Das ist dumm, weil elitär, weil abgehoben, weil unfair. Willst du nur einen Wikipedia-Artikel oder willst du Gutes tun? Reihst du dich einfach nur ein, in die vermeintlich unberechenbare Ordnung? Gibt es in deinem nihilistischen Universum überhaupt gut und böse?

So: Wo nun Selbstüberschätzung? Nun, vielleicht glaubst du dem kommenden gewachsen zu sein, den richtigen Weg beschritten zu haben. Deine Ansprüche an eine möglichst transparente Gesellschaft sind durchaus valide – die CDU wird die Spackeria nur so lange mögen, bis sie merkt, dass auch von ihr Transparenz gefordert wird! Freies Internet ist halt kein Ponyhof. Aber glaubst du nicht, dass du es anders machen willst? Glaubst du nicht, dass du in ein paar Jahren denkst: Was habe ich eigentlich getan und dich fragst, wieso du deine Zeit nicht sinnvoll investiert hast – in gute Projekte, in Aktionen. Stattdessen beschäftigst du dich mit so einem … Kram. Lass‘ das mal. Du wirst es bereuen.

Alles Gute,

Julia