Altherren und Humor

Der Freitag hat einen Salon. Nicht nur schätze ich den Freitag, auch schätze ich Jakob Augstein (postprivacy-Anmerkung: Mein Freund hat nicht grundlos gewisse Ähnlichkeiten mit ihm!) und sowieso und überhaupt finde ich diese monatlichen Veranstaltungen großartig. Thema: Humor.

Und diesmal war Henryk M. Broder dabei. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen. Wieso Matthias Mattussek auch da war hat sich mir nicht in Gänze erschlossen, passte er doch nicht in die Runde reflektierter Atheisten und wurde von Broder duzend ziemlich vorgeführt. Auch Augstein konnte sich die Frage, inwiefern Mattussek denn als Gläubiger die von ihm gescholtenen Moslems verstehe, nicht verkneifen. Es folgte tragisches Gestammel. Er veröffentlicht demnächst übrigens auch ein Buch. Darüber, dass er offensiver Katholik ist. Zumindest als Quelle für humoristisches war er tauglich. Auch wenn sein vorgetragener Witz, im Kern etwa ein bisschen lustig, vor der Pointe bei mir zu Gähnen führte. Generell gaben sich die Gäste Mühe das Thema zu verfehlen. Kriegten aber immer wieder die Kurve, vor allem dank Augstein. Und Broder zog die Show ab, die er eben abzieht. Jedem sein Geschäftsmodell.

Nach vielen Jahren des Aufregens und des Kopfschüttelns über Broder, habe ich über verschiedene Texte schon länger Zugang zu seinem  Humor gefunden. Soviel trennt uns auch gar nicht, wie ich das vielleicht gerne hätte: Die Paradoxien unserer Welt sind schließlich immer noch am lustigsten. Beschimpfte ich ihn einst als Kryptofaschist, bahnte sich in mir sukzessiv der Gedanke, dass in der kleinen, bitterbösen Hülle ein Gerechtigkeitsfanatiker und reflektierter Humanist steckt, der, ob des Wahnsinns dieser Welt, den vielleicht leichteren Weg wählte: Alles und jeden ins Lächerliche ziehen. Den Leuten in Ironie und Sarkasmus zuvorkommen. Humor auch als Selbstschutz.  Absolut legitim, absolut nachvollziehbar. Jedoch absolut unpolitisch. Und so war auch meine Frage zu verstehen, die auf die Frage nach dem Politischen zielte. Denn welchen gesellschaftlichen Mehrwert schafft der bitterböse Zyniker?

Gesellschaftlichen Mehrwert schafft Matthias Mattussek kaum mehr – außer der feuillton’sche deutschen Welt mit seinem Katholiszismus die Luft zum Atmen zu nehmen. In Köln lockt man ja damit keinen hinter dem Ofen hervor. Berlin scheint da schon provozierter zu reagieren. Scheinbar. Jedem sein Geschäftsmodell.

Nun nahm Broder Mattussek nicht nur die aufgesetzte und romantisch-verklärende Katholizismuskeule mit Biss und bösartigem Charme aus der Hand, auch präsentierte er sich als zynisches Gewissen. Und vielleicht liegt darin der Mehrwert für die Gesellschaft: Ihre Schwächen offenlegen mit Humor auf Kosten derer, die sie schwächen. Auch wenn sie nur Gutes im Sinn haben. Aber die Intention scheint nicht zu zählen. Ergebnisse. Doch liefert die ein Berufssarkastiker?

Grundsätzlich lässt sich konstatieren, dass eigentlich alles wie gehabt ablief: Broder böse, Augstein idealistisch-reflektiert und Mattussek selbstherrlich. Doch, und so scheint dieser Blogpost nur allzu wichtig, präsentierten sich die Gäste Augsteins doch als Vertreter eines Frauenbildes, das von Klischees, Herablassung und monogamer Heteronormativität geprägt zu sein scheint.

War die Festellung Augsteins, dass Frauen bevorzugt humorvolle Männer suchen, während Männer sich Frauen suchen, die über ihre Witze lachen, noch halbwegs verkraftbar, weil gesellschaftlich entblößend, blamierte sich Mattussek mit der Bestätigung dieser Küchenpsychologie. Küchenpsychologie waren dann laut Broder auch die Erkenntnisse Freuds, die sich heute Gender-Studies nennen würden. Das wirre Geschwafel Mattusseks über die heilende Kraft des Beichten provozierte schließlich einen Zuruf aus dem Publikum, der darauf hinwies, dass auch Homosexualität als Sünde verstanden wird. Verduzt entgegnete Mattussek, inwiefern denn Homosexualität eine Sünde gewesen sei. Doch es ging noch weiter. Nachdem Broder erklärt hatte, wieso er Schwein esse (er boykottiere so das Erscheinen des Messias) und die Einladung zum Bratenessen im Hause Mattussek angenommen habe, wiederholte Mattussek seine Einladung mit den Worten: „Meine Frau steht immer bereit.“ Zugegeben muss ihr Braten deliziös sein angesichts des bauchigen Vorderbaus ihres ach so schöngeistigen Mannes. Vielleicht macht er ja sogar den Abwasch!

Ich bildete mir ein, dass sich Augstein ob dieser kruden Aussagen ab und an schämte.

So, nun saß ich dort und fragte mich: Broder ist ein zynischer Atheist und Mattussek ein verblendeter Gläubiger. Bleibt einem als intellektuell anmutende Person des öffentlichen Lebens nichts anderes übrig? Wo ist in einer Denke, die aus Zynismus oder Verblendung besteht, Platz für das politisch Handeln? (Mattussek war bereits verschwunden. Hatte er Angst ob möglicher Fragen? Vielleicht hatte er auch nur Hunger.) Die Frage konterte Broder mit dem Hinweis, dass ich meinen Freund doch fragen solle, was ich mit meinem Leben mache. Der Mann zeigt mir wo es langgeht. Und während man im ersten Moment noch denken konnte, dass es sich um einen Scherz handelt, wurde mir doch eins gewahr: Altherrenhumor schließt die Reflektion über Frauen aus. Und die Antwort war vollkommen ernst gemeint! Grundsätzlich gab es im Gespräch und den Köpfen von Broder und Mattusek nur Muttis, Ehefrauen und Töchter oder vermeintliche Anti-Frauen wie z.B. Claudia Roth. Überhaupt waren Gutbürger, wie sie erwähnt wurden, eigentlich nur Frauen. Bezeichnender Weise kam die Frage nach der Notwendigkeit von zwischenmenschlichen Verletzungen von einer Frau. Richtig ist, das muss man Broder zu Gute halten, dass eine Gesellschaft in der jeder jeden beleidigen darf grundsätzlich ein relativ hohes Maß an Freiheit zur Verfügung stellt – dass vielleicht aber auch gekränkter Stolz und Eigensinn ab und an die Oberhand gewinnen, durfte natürlich nicht zugegeben werden. Und statt sich mit der Frage nach dem gesellschaftlichen Mehrwert des eigenen Tuns zu beschäftigen, wurde auf meine Sinnkrise verwiesen. Geübt, aber trotzdem ein bisschen traurig.

Update:
Mein bester Freund schickte mir gestern diesen Mailverkehr! Ich lasse ihn, inklusive des Witzes, online, da ich der Meinung bin, dass der Witz den Abend sehr gut widerspiegelt. Sowieso ist der Mailverkehr sehr bezeichnend und ergänzend für den Abend und die Essenz der Diskussion.

——– Original-Nachricht ——–
Datum: Tue, 22 Mar 2011 08:47:33 -0700 (PDT)
Von: Broder Henryk
An: Ioannis xxx
Betreff: Re: Lachen mit Matussek

danke. hat sie nett beschrieben.
b

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From: Ioannis xxx
To: kontakt@henryk-broder.com
Sent: Tue, March 22, 2011 4:43:31 PM
Subject: Lachen mit Matussek

Sehr geehrter Herr Broder,

vielen Dank für die Rettung meines gestrigen Abends vor dem prämortalem
Missionierungsgewäsch des Herrn Matussek. Anbei sende ich ihnen einen Link zu
den Gedanken jener jungen Dame, welcher sie empfahlen, sich bei der Sinnsuche im
Leben von ihrem Freund leiten zu lassen.

Mit freundlichen Grüßen,
xxx

http://juliaschramm.de/blog/moderne/altherren-und-humor/

P.S.: Ein Witz aus dem Irak:

Die US Marines sind in schwere Gefechte in Najaf verwickelt. Sie verhängen eine
nächtliche Ausgangssperre, welche sie mit tödlicher Gewalt durchsetzen.
Eines Abends, es ist 17:45, die Ausgangssperre beginnt um 18:00, schlendert ein
Iraki über eine Kreuzung im Zentrum Najafs. Bevor er die Straße überquert hat,
ertönt ein Schuss, und der Iraki fällt tödlich getroffen zu Boden.
Platoon Leader to Sniper: ‚URA MARINE! Why did you shoot that civilian?
Sniper to Platoon Leader: Sir! I know where that guy used to live. He would’ve
never made it home ‚till 1800!