Zynismus und Idealismus

Nun denk, das digitale Deutschland steht Kopf! Weil Guttenberg geehrt wird, statt mit Schimpf und Schande und Teer aus dem Amt gefedert zu werden? Weil Horst Seehofer Jagd auf Ausländer machen will? AUCH! Aber vor allem erregte eine junge, naive Göre mit ihrem Wahnwitz die Gemüter. Mit steilen Thesen, wenig Substanz und einer flapsigen Ignoranz habe ich es in eine Reihe mit Gaddafi, Magath, Zuckerberg und Merkel bei Spiegel Online geschafft. Konkret bedeutet das: Unendlich viele neue Follower bei Twitter, einen Haufen Beleidigungen (auch ziemlich sexistisch…), wunderbar konstruktive Kritik und die Erkenntnis, dass ich in diesem Leben keine klassische wissenschaftliche Karriere einschlagen werde.

Doch nun zum Inhalt, der mir abgesprochen wird. Abgesehen von den positiven Reaktionen, die durchaus sehr viel zahlreicher waren, als erwartet, ist das Thema Post-Privacy dermaßen ungenau, dass alles hineinprojiziert wird, was so geht. Und da geht einiges. Eine Begriffsdefinition ist in Arbeit.

Zunächst möchte ich dabei voranstellen, dass mir sehr deutlich bewusst ist, dass ich privilegiert bin. Darüber bin ich mir jahrelang so bewusst gewesen, dass es mich gehemmt hat. Und es hat mich zynisch gemacht. Eben das ist ein sehr berechtigter Vorwurf. Wie mein Bundesvorstand so schön schrieb: Den Chinesischen Dissidenten, die sich an Klarnamenspflicht bei Facebook stören einfach „Privatsphäre ist sowas von Eighties“ zurufen! Hier trifft er natürlich den Kern des Problems: Die globalen Macht- und Verteilungsverhältnisse dürfen bei einer Debatte wie dieser nicht vergessen werden. Ganz im Gegenteil determinieren sie auch die Verhältnisse im Internet, ist dieses doch nur ein Abbild der Gesellschaft. Nicht nur haben grundsätzlich zu wenig Menschen Zugriff auf das Internet, vielmehr ist die digitale Welt ein Biotop menschlicher Abgehobenheit. Der Hof von Versailles. Und ich zeige mit dem Finger zynisch darauf. Und lache. Menschen werden diffamiert im Netz, belästigt und ausgeschlossen. Und ich will keinen Löschmechanismus. Dass ich mich als Spackesse bezeichne ist hierbei jedoch kein unwichtiges Detail.

Wollen tue ich jedoch vieles und vieles auch nicht, alles eher unbestimmt und nicht kohärent. Zurecht wurde mir in den Kommentaren Erfolg bei der Selbstfindung gewünscht. Danke! Wissen über mein Wollen wird sich wohl erst noch ergeben, Wissen über mein Wissen ist jedoch folgendes: Datenschutz ist tot.  (Wichtig: Ist eine Zustandsbeschreibung)

Und jetzt? Bauen wir einen neuen? Aber wer soll das tun? Der Staat? Was jedoch ist der Staat in Zeiten der Entnationalisierung, der zunehmenden Entstaatlichung? Ist eine Renationalisierung notwendig für eine Reanimation des Datenschutz? Ist die EU geeignet wesentlich in die Struktur des Internets einzugreifen?

Ist es nicht gar eine Bigotterie des Staates ein Datenschutzgesetz zu stricken, aber anonymes Surfen nicht zu fördern? Mit Datenschutz vermeintliche Sicherheit zu emulieren, aber Medienkompetenz und kritisches Denken nicht zentral in der Bildung zu vermitteln? Erscheint es nicht viel sinnvoller anonymes Surfen zu lernen, anstatt eine Durchregulierung durch ein Gebilde zu fordern, dass von einer Struktur regiert wird, die im Internet wie kaum anders einen Gegenpol findet, der voller Kritik ist? Ich bin kein Etatist und werde es auch nicht werden.

Privatsphäre ist eine Idee – wie sinnvoll diese ist gilt es zu evaluieren. Denn nicht nur findet unter dem Banner Privatsphäre durchaus Gewalt statt und Missbrauch, auch eine Verbannung nicht-konformer Menschen und Lebensweisen unter dem Deckmantel der Privatsphäre ist ein Problem, das eine Überdenkung durchaus lohnenswert macht. Exemplarisch sei hier der Grundsatz „Don’t ask, don’t tell“ angeführt, der in seiner Radikalität die Entfaltung Homosexueller und das öffentliche Bekennen zu einem Lebenspartner de facto verbietet. Privatssphäre als Norm kann durchaus schaden und leistet Diskriminierung mit dem Verweis auf den Rückzug ins Private Vorschub.

Datenschutz ist kein höheres Prinzip, sondern ein Abwehrrecht. Datensparsamkeit und Datenliebe mögen Konzepte sein, Datenschutz dagegen ein vermeintlich richtiges Feigenblatt in einer falschen Welt. Einer Welt, die ausgrenzt, die diskriminiert und dabei doch so wenig dafür kann, ist sie doch von Menschen gemacht. Die Utopie zu formulieren eine Welt zu wollen, die diesen Schutz nicht benötigt – das muss das Ziel sein. Auch in der Meta-Moderne.

Achja, und ein Hoch auf die internationale Anonymität. (Ernst gemeint und geguttenbergt – denkt mal drüber nach!)