Irrtum und Holocaust

Lieber Bodo,

ich wende mich öffentlich an dich, denn was ich dir zu sagen habe geht uns alle an, ist viel zu generell, um es auf einer Mailingliste Verschütt gehen zu lassen – ja, auch zu generell, um es in einen Dialog pressen zu wollen. Auch befürchte ich, dass es den einen oder anderen gibt, der dem selben faulen Gaul aufgesessen ist wie du. Auch an sie richte ich meine Worte. Nun ist es so, dass du dich mit der deutschen Geschichte auseinandersetzen und die gewonnen Erkenntnisse auch artikulieren möchtest – jedoch bist du dabei schmerzlich dilettantisch und eigensinnig. Zumindest das Eigensinnige ist wohl eine grundsätzliche Eigenschaft von dir. Doch sei es drum, auch zwangsgestörter Eigensinn kann Platz in der Piratenpartei haben. Vermeiden möchte ich jetzt eine bloße Einreihung in die Anti-Parolen gegen dich – obwohl ich, und so ehrlich muss ich dann doch sein, die Abneigung gegen dich verstehen kann. Mehr noch finde ich es gut, dass es Menschen gibt, die sich leidenschaftlich gegen dich stellen. Denn Bodo, es tut mir leid, aber du hast einfach keine Ahnung – und versuchst diese sogar noch als politischen Unterbau der Piratenpartei zu manifestieren. Wieso ich mir anmaße so urteilen zu können? Nun, ein Studium der Politologie, jahrelange Arbeit in einem Museum zur deutschen Geschichte und eine langjährige Beziehung zu einem paranoiden  Hacker mit Hang zu Verschwörungstheorien bestärken mich in der Annahme verstehen zu können, was deinen Glauben (und ja, wir glauben alle!) und den damit verbundenen Irrtum auf mehreren Ebenen treibt.

Zunächst wäre da die Frage nach dem unbedingten Recht der Meinungsfreiheit.  Rechte sind kulturell erwachsene Konstrukte, die ihre Gültigkeit haben, weil wir das möchten. Rechtliche Normen repräsentieren ein kulturelles Moment und die Gesellschaft aus der sie erwachsen sind. Manche Normen werden hierbei fest verankert und mit transzendentalem Bezug mystifiziert – aus einer grundsätzlich diskursiven Einigung wird ein Dogma. Beachtet man die Würde des Menschen, und die zahlreichen Angriffe auf eben diese, so ist dies auch gerechtfertigt. Nun ist das Grundgesetz in Ablehung des Holocaust geschrieben worden, was sich an zahlreichen Artikeln, der Stellung der Grundrechte, der Präambel und der Protokolle aus dem Parlamentarischen Rat eindrucksvoll beweisen lässt. Und auch wenn der Holocaust das wohl best-dokumentierte Verbrechen der Weltgeschichte ist, die Schuld von einem Großteil der Bevölkerung, vor allem in den späten 40er Jahren und dann, nach Pause, wieder seit den 70er Jahren, anerkannt wurde und die politische Identiät der Bundesrepublik auf der Auseinandersetzung mit dem Holcaust basiert, gibt es nun diese eigensinnigen Sturköpfe, diese GO-Antragsterroristen, die jeden Toten im Konzentrationslager einzeln abgezählt sehen möchten und die Qualität eines Massenmordes an der eingesetzten Technik festmachen. (Man staune, die Zahl 6 Millionen tote Juden ist nicht akkurat! Aber ob es jetzt 3,4,5,6 oder 7 Millionen sind ist auch aus vielerlei Hinsicht völlig unerheblich) Nun ist es folgende Situation: Wir haben mit dem Grundgesetz das Dogma der Meinungsfreiheit geschaffen – gleichzeitig haben wir dieses Dogma jedoch hinterfragt und eine kulturell bedingte Einschränkung gesetzt – sehr spezifisch, sehr präzise. Hier liegt keine grundsätzliche Einschränkung der Meinungsfreiheit vor, nein, hier liegt die gesellschaftliche Einigung auf die unbedingte Anerkennung eines Verbrechens, dem Holocaust, vor. Dagegen kannst du opponieren. Doch fühle dich dabei bitte nicht im Recht.

Der Holocaust ist nicht leugnungsfähig

Vielmehr ist der Holocaust, neben der Frage nach seiner faktischen Tatsache, vor allem nicht zu leugnen, ob seiner absoluten Wirkkraft. Nun kannst du, lieber Bodo, behaupten, dass es keine Gaskammern gab, dass Hitler die Juden nicht ausrotten und  nie Krieg wollte, etc. (Zu den historischen Fakten diesbezüglich komme ich gleich) Den Holocaust als kulturell verankertes Mem, als (negativen) Sinnstifter und Dreh- und Angelpunkt der Postmoderne wirst du nicht leugnen können, ja nicht auslöschen können (oh, welch Ironie!) – der Holocaust ist. Deswegen ist er nicht zu leugnen.

Doch nun zu meinem persönlichen Lieblingsteil: Historische Fakten. Ich gehe auf den von dir geschätzen Germar Rudolf (Heißt der wirklich Germar? Heißen die Kinder Aria und Völker?) nur am Rande ein – ich kenne die Argumente und die „chemischen Beweise“ – denn es kommt gar nicht darauf an, ob es Gaskammern gab. Gehen wir doch zunächst erstmal auf die bei Wolfgang Dudda zitierten von dir dargelegten Erkenntnisse ein:

1. „Es hören manche Leute nicht gern. Aber Hitler wollte keinen Krieg. Zumindest nicht mit dem Westen. (Ich glaube aber, generell nicht.)”

Die nationalsozialistische Herrschaft fußte auf der Idee einen sozialistisch aufgebauten Volkskörper mit national orientierten (im Falle der Kulturnation Deutschland rassistisch-völkischen, siehe meinen Brief an den guten Thilo Sarrazin) Beteiligungsgrenzen zu schaffen. Diesem Volkskörper, bestehend auf der vermeintlich besseren Rasse, sollte in letzter Instanz die Welt und ihre Rohstoffe zur Verfügung stehen. Die Welt als Sklave des deutschen Volkes.  Dafür sollte zunächst Lebensraum im Osten erschlossen werden – wesentliches Element der politischen Überzeugungen Hitlers, vor allem in Mein Kampf ausgeführt. Ein Krieg gegen Russland war auf Dauer notwendig, sollte Russland sich nicht frewillig den Forderungen nach Gebietsabgabe fügen (Such‘ den Fehler!) Im Fokus des Interesses lagen jedoch vor allem die ehemaligen Ostgebiete, die das deutsche Reich mit dem Versailler Vertrag verloren hatte. Die Rheinlandbesetzung 1936 hatte gezeigt, dass eine kriegerische Auseinandersetzung gar nicht so notwendig erschien – die Westmächte ließen Hitler gewähren. (Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Auseinandersetzungen darüber, dass Hitler schon da einen Krieg befürchtet hatte – jedoch die Aufrüstung noch hinterher hinkte) Hitler hat immer mit Krieg gerechnet. Er wusste, dass er seine nationalen Ziele niemals ohne internationalen Widerstand durchzusetzen vermochte – der Krieg würde kommen, er wusste das und somit wollte er ihn. Er musste ihn wollen, um seine Ziele zu erreichen –  und deswegen musste er die Vorkehrungen treffen einen Krieg gewinnen zu können.  Natürlich war er nicht der Dummkopf den manche gerne aus ihm machen wollen – vielmehr war ihm klar, dass er einen Allfrontenkrieg niemals gewinnen konnte. Deswegen suchte er die Koalition mit Großbritannien und den USA – wo es auch durchaus Sympathisanten und Unterstützer gab. Doch diese Mächte verbündeten sich letztlich mit Russland – und gegen die Anti-Hitler-Koalition hatte dann auch das hochgerüstete deutsche Reich keine Chance mehr. Letztlich war es wohl sein Eigensinn, der das deutsche Reich in die absolute Kapitulation trieb.

2. „Wenn Polen Deutschland den Krieg erklärt hat (und das hat Polen indirekt durch die Generalmobilmachung), dann hatte Deutschland jede Legitimation, Polen anzugreifen.“

Das ist mein persönlicher Lieblingsteil, denn er zeigt, dass du die von dir aufgesaugten Behauptungen nicht in ihrem historischen Kontext reflektiert hast. Diese Passage zeigt fundamental wieso du keine Ahnung hast. Das Ziel Hitlers (naja, sind wir fair, eigentlich so gut wie alle Politiker der Weimarer Republik) war die Wiederherstellung des deutschen Reiches – also die Rückgewinnung der durch den Vertrag von Versaille verlorenen Gebiete. Diese waren zu großen Teilen Polen zugesprochen worden. Polen – ach Polen, du geschundene Hure der Weltgeschichte! – war mal wieder dabei einen eigenen Staat zu konstituieren. Die vorherigen Versuche wurden stets von den deutschen, russischen und österreichischen Nachbarn boykottiert und sabotiert. Nun sollte es also – schließlcih gab es ja jetzt den Völkerbund – gelingen. Die Deutschen, gepeinigt durch den großen Krieg (dessen Ausbruch sie zwar verursacht, aber nicht verschuldet hatten), demoralisiert, national gekränkt und überfordert mit dem gesellschaftlichen Versuch der Demokratie und den zahlreichen Flüchtlingen und Vertriebenen, die ohne Hab und Gut dastanden, wollten sich damit nicht abfinden. Hitler verbreitete zusätzlich den Mythos einer notwendigen „humanitären Intervention“, da die in Polen lebenden Deutschen in großer Gefahr sein sollten. Soviel zu der Ausgangssituation: Polen sollte also in seiner nach 1918 verfassten Form nicht erhalten bleiben. Die Nationalsozialisten traten darüber hinaus in „Verhandlungen“ mit Polen, ebenso wie sie in „Verhandlungen“ mit der Tschecheslowakei getreten waren. Die Polen, die sich weigerten die Bedingungen der Nazis zu erfüllen, konnten nicht auf Beistand der West-Mächte hoffen. Diese hatten Polen zwar Unterstützung zugesagt, verloren sich jedoch im diplomatischen Klein-Klein. Parallel dazu verschärfte Hitler die Forderungen – Polen musste jederzeit mit einem Angriff rechnen. Die Mobilmachung war notwendig, wenn man den Staat Polen souverän halten wollte. Die Mobilmachugn war angesichts der Situation ebenso legitim, denn:

Legitimation ist nicht, sondern wird geschaffen

Hitler hatte sich zahlreiche Argumentationsmuster erarbeitet um einen Krieg zu rechtfertigen. Dies war zwingend notwendig, denn die deutsche Bevölkerung hatte keine Kraft und keinen Willen einen weiteren Krieg zu führen. Die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg waren noch lebendig genug. Auch wenn der Krieg dem Volk selber dienen sollte – führen wollten sie ihn nicht. Deswegen musste eine passive Legitimation geschaffen werden. Dass sich diese Mär bis heute hält ist bemerkenswert. Dass du dieser Mär unreflektiert aufsitzt noch mehr.

3. „Nun, bis vor einigen Monaten glaubte ich auch, daß diejenigen, die “Auschwitz leugnen” einfach nur pubertäre Spinner sind. Damals hatte ich aber auch noch nicht Germar Rudolf gelesen. Sorry, aber das Buch prägt einfach – zumindest wenn man objektiv ran geht.“

Bodo, wenn man objektiv an die Sache rangeht, dann muss man erkennen: Es gibt Auschwitz (warst du mal in einem KZ? Theresienstadt? Ravensbrück? Buchenwald? Dachau? Ich schon – nicht schön) – die Frage nach den Gaskammern ist unerheblich, weil in diesen Lagern Millionen Menschen entwürdigt und ermordet wurden – weil sie ihres Lebens beraubt wurden, weil ihre Kinder und Angehörigen brutal vernichtet wurden. Und sie zusätzlich ausgestellt und zu Lampenschirmen verarbeitet wurden. Die Frage, ob die Menschen massenhaft erschossen wurden (und da gibt es Fälle, wo Menschen 100.000 Menschen erschossen haben und begraben – es gibt die Massengräber, es gibt die Augenzeugen, es gibt die Berichte der Nazis) oder ob Gas eingesetzt wurde ist völlig irrelevant. Relevant ist, dass bei diesem Krieg Millionen Menschen ihr Leben gelassen haben. Objektiv gesehen muss man auch sagen, dass Geschichte von Siegern geschrieben wird, dass Deutschland ein besetztes Land bis 1990 war, dass die Welt nach dem Ersten Weltkrieg grundsätzlich ein Scherbenhaufen war und dass Mao und Stalin mehr Menschen abgeschlachtet haben als Hiltler. Aber Bodo, das ändert nichts an der Tatsache, dass deine und meine Großmutter, dein und mein Großvater, dass unsere Urgroßeltern Teil einer Gemeinschaft waren, sie zum Teil gestützt und getragen haben, die unfassbare Verbrechen begangen hat. Und all die berechtigte Kritik an der Geschichtsschreibung, an der „Holocaust-Industrie“ (wozu in erster Linie dein geschätzter Germar gehört!!!!) und der Geisselung durch eine kollektiven Schuld ändert nichts daran, dass wir, du und ich, wir alle anerkennen müssen, dass derartige Verbrechen zumindest in unserem Land nicht mehr passieren. Ob dein Kampf für die unbedingte Meinungsfreiheit da hilfreich ist? Ich mag es bezweifeln.

Und deswegen schließe ich mit den Worten: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal nicht der Partei schaden!

Update: In einer vorherigen Version des Artikel wirkt es so, als würde ich der Finkelstein-Theorie zur Holocaustindustrie nach dem Mund reden. Das ist jedoch missverständlich. Es geht mir darum, dass eigentlich Holocaustleugner mit dem Holocaust Geld verdienen – im Prinzip ein Aufgreifen des Begriffs, jedoch angewendet auf die, die den Holocaust wirklich ausschlachten, um damit ein Einkommen zu bestreiten. Also eben Leute wie dieser Germar. Für eine differenzierte Aussage zur Theorie Finkelsteins habe ich mich nicht genug mit der Thematik beschäftigt. Ich finde jedoch den Begriff „Holocaust-Industrie“ passend für eben jene, die mit dem Holocaust Geld verdienen – in erster Linie Holocaustleugner.