Deutschland und Kulturnation

Lieber Thilo,

nun gebe ich dir auch einmal Aufmerksamkeit. Ich duze dich, denn ich denke, dass du mich mögen wirst, schließlich bin ich angeblich intelligent und wohl erzogen worden – in deutsch. Und ich bin getauft worden. Sogar christlich.  Mein dunkelblondes, halbblauäugiges Wesen schlägt gerade auch eine Namensänderung in Gottholde vor. Deiner Zuneigung muss ich mir so sicher sein, richtig, lieber Thilo? Soll ich mir vielleicht noch Zöpfe flechten? Ach, Thilo, du würdest mich bezaubernd finden!

Ich habe dein Buch nicht gelesen und werde das auch nicht tun – lieber lese ich Bücher, die mir erklären, woher deine Ansichten kommen und wieso sie auf so fruchtbaren Boden fallen. Diese Bücher nun sagen mir, lieber Thilo, dass du ein recht altes Konzept deiner Nationsvorstellung polemisch und auch etwas dumm in die Welt trägst: Die Idee der deutschen Kulturnation. Nun, ich möchte doch fair sein und dir wohl erklären, was nun das Problem an diesem Konzept ist, welche Gegenkonzepte es gibt und warum du mit deinem Buch wahrhaftig ein Brunnenvergifter bist – ja, mir, die du doch so gerne mögen würdest, alle Grundlage für anständige, gemeinwohlorientierte Politik nimmst. Doch gehen wir ein paar Schritte zurück, denn, obwohl du dich selbst sehr wohl in den Kreis der auserwählten Intelligenzja dieses Landes rechnest, offenbaren doch deine Aussagen gänzlich das Gegenteil, so dass ich mich verpflichtet fühle dir grundlegend zu erklären warum du ein Rassist bist.

Beginnen können wir hierzu an der Schwelle zur Neuzeit – Columbus und Luther, der 30jährige Krieg und die sukzessive Enteignung der römischen Kirche führen zu einer Spaltung des Glaubens: Gott verliert seine Bedeutung, die einzig ewige Wahrheit (ja, da horchst du auf, oder?) verliert ihre Einzigartigkeit, ihre Unumgänglichkeit und die Menschen verstehen, dass sie Alternativen haben zu dem einst allmächtig gedachten Gott. Plötzlich tauchen aus alllerlei Ecken und Löchern Ideen auf, die uns die Welt erklären sollen – gute, schlechte, gefährliche und bezaubernde Erklärungsansätze. Da gibt es Rousseau und Kant, da gibt es Hegel und Marx und sie alle verfolgen, auch ohne es zu wissen, ein Ziel oder legen die Grundlage dafür: Verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die Idee mit der größten Wirk- und Integrationsmacht, lieber Thilo, war die Nation. Die Nation (ja, jetzt wird es wirklich interessant für dich!) war ein radikaldemokratischer Ansatz, ein Gegenmodell zum Gottesgnadentum mit dem Anspruch einer grundlegenden Machtfunktion des Volkes – ziemlich links, aber das warst du ja auch mal, oder Thilo? Nundenn, gibt es nun aber zwei Ausprägungen der Nation – die Staats- und die Kulturnation. Eine Staatsnation definiert sich über ihre gemeinsamen Werte, über das Bekenntnis zum Gemeinwesen und gemeinschaftlichen Werten. Blut, Gene oder andere prädeterminatorischen Elemente spielen keine Rolle, genausowenig wie die Religion. Ziemlich Preußisch ist das, aber scheint dir, lieber Thilo so gar nicht zu gefallen. Doch wollen wir uns nicht an Kleinigkeiten aufhalten, bzw. dich intellektuell überfordern. Die Staatsnation also ist die Konstruktion eines säkularen Staates, der sich Werten in der Tradition der Aufklärung verschreibt und alle daran teilhaben lässt, die sich zu diesem Konstrukt und seinen Werten bekennen. Klingt gut, aber so weiß ich doch, dass auch dieses Konzept nicht der heilige Gral ist (falls du jetzt schon ein Buch über die deutsche Staatsnation skizziert haben solltest!), wie man in Frankreich, dass sich in Dünkel und Korruption verliert, sehr schön sehen kann. Doch zumindest ist es nicht rassistisch. Das wiederrum ist jedoch das Konzept der deutschen Kulturnation. Romantisiert von Herder, radikalisiert von Ernst Moritz Arndt, reagierten die deutschen Intellektuellen (nein, zu denen darfst du dich nicht zählen, kleiner Thilo!) auf die ewig unsicheren Grenzen der Idee Deutschlands mit einer einfachen Formel: Die deutsche Nation ist verbunden durch Sprache und Kultur. Bald wurde daraus die zärtliche Vorstellung eines völkischen Organs, einer körperlichen, blutigen und deswegen so tiefen Verbindung der deutschen Menschen, ja die Idee einer biologischen Abgrenzung zu anderen Blutsgemeinschaften. Schnell verdichtete sich dieser Gedanke und vom emanzipatorischen Freiheitsmoment der deutschen Nation blieb spätestens seit der Gründung des Deutschen Reiches nichts mehr übrig. Ganz im Gegenteil half der falsch verstandene Darwinismus gar noch die krude Idee der Kulturnation, der Gott gegebenen (na, findest du den Fehler?) Einheit der Deutschen zu verfestigen. Das Ergebnis war irgendwann, dass Hitler definierte was deutsch sei und alles andere versklavte oder umbrachte. Dass du nun die Juden als besonders intelligente „Rasse“ lobst, ändert nichts an der Tatsache, dass du dich in diese Tradition stellst. Denn Thilo sage mir: Was ist deutsch?

Eine einfache Definition, basierend auf sprachlichen und kulturellen Vorstellungen greift zu kurz, lieber Thilo. Deutschland wie du es in deinem Kopf romantisierst gibt es nicht, nur in deinem und in vielen anderen Köpfen. Deutschland, mit seinen blühenden Landschaften, der Pünktlichkeit, Sorgfältigkeit und der kulturellen Einheitlichkeit ist nur ein gesellschaftliches Konstrukt, dass du und viele andere annehmen und so unser Gemeinwesen erschaffen. Letztendlich baust du dir einen Ersatz für Gott auf: Die Kulturnation ist in deinem Kopf die Antwort auf alle Fragen. Wenn du etwas belesener wärst wüsstest du jedoch, dass diese Funktion schon an die 42 vergeben ist. Außerdem ist der Erfolg Deutschlands (wenn man ihn denn so nennen möchte) vor allem auf die  Durchmischung von Genen, Kultur und Blut zurückzuführen.

Was wir nun tun müssen, ist eine Rückberufung auf wahre Werte, auf Freiheit, Verantwortung und Nächstenliebe. All das, was weder du noch deine Partei in den letzten Jahren vorgelebt oder angestrengt haben. Denn erst wenn wir diese Werte aufrichtig leben, wird die deutsche Nation als Staatsnation auch interessant für die Migranten. Ja, wird der Westen, um den du dich ja auch sehr sorgst, von anderen als Vorbild anzunehmen sein. Dafür musst aber auch du, mein lieber Thilo, deinen Dünkel aufgeben und akzeptieren, dass die Welt sich weiterdreht, dass die BRD bis 1989 nicht mehr existiert und das unser Gemeinwohl nicht von Biologie oder Kultur, sondern von Willen abhängt. Diesen Willen hast du jedoch genausowenig wie die von dir beschimpften Kopftuchmädchen. Dich scheint die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, nicht umzutreiben, was tragisch angesichts deiner Wirkung in den Medien ist, sondern nur die Frage: Wer ist schuld? Und so hast du dich einer dieser veralteten Ideen angeschlossen und verkaufst sie uns nun als die sarrazin’sche Heilungsformel. Nur leider ohne die intellektuelle Tiefe – vielleicht bist du deshalb auf Platz 1 der Spiegel-Bestseller-Liste. Dich macht das reich – mich macht es nur traurig. Ja, Thilo: DU machst mich traurig, so dass ich an deiner Zuneigung ob meines guten Deutschtums doch sehr zu zweifeln habe!

Zum Gruße!

Deine Jul…äh..Gottholde!

Nun zu den Büchern, die man besser lesen sollte:

Langewiesche, Dieter, Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München 2000.

Wiegrefe, Klaus, Die Erfindung der Deutschen. Wie wir wurden, was wir sind, Hamburg 2007.

Ahja, und ich habe da auch mal was wissenschaftliches zu geschrieben, wo noch ganz viel Literatur  zu finden ist.


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