Piraten und Geduld

Die Wahl in NRW und der Bundesparteitag sind vorbei. Das Fazit: Schwarz-Gelb ist abgewählt, die Mehrheitsverhältnisse aufgrund einer fünften Fraktion im Landtag sind unbefriedigend, eine große Koalition abzusehen und die politische Arbeit der Piratenpartei reduziert sich (gefühlt?) auf innere Streitigkeiten über Struktur, Programm und die G.-Debatte. Ja, der Spiegel sieht uns gar schon am Ende der Fahnenstange.

Bei den Piraten mögen nun manche enttäuscht sein. Wie auch bei der Bundestagswahl wurde der Parlamentseinzug als Ziel ausgegeben. Die Devise sollte es nicht sein, starke außerparlamentarische Oppositionspartei sein zu wollen, sondern möglichst bald Verantwortung zu übernehmen. Betrachtet man die Ereignisse auf dem Bundesparteitag in Bingen kann man sich nur wundern, woher sich diese Phantasien speisen. Einen neuen Vorstand konnte man geradeso wählen und Liquid Feedback als Meinungsbildungstool auf Bundesebene einführen. Ahja, und die G. – Debatte wurde erneut ausgelöst, die auch von mir weiter getragen wird. Aber ignorieren scheint nicht zu funktionieren. An dem schlechten Ergebnis bei der Landtagswahl ändert das auch wenig. Leider.

Fremd- und Selbstschämen

Denn in der Tat, die 1,5 % Stimmenanteil sind weitaus weniger als sich die meisten Piraten-Sympathisanten vor der Wahl erhofft hatten. Enttäuschend ist dabei weniger das Gesamtergebnis in dem zu Recht als anspruchsvollem Bundesland bezeichneten Nordrhein-Westfalen, sondern viel mehr der Rückgang in Prozenten wie auch in der Gesamtstimmzahl im Vergleich zur Bundestagswahl. Auf sympathisierende Häme und substanzlose Schelte von außen folgten bald Hinweise auf Besonderheiten der NRW-Wahl, sowie viel Kritik an der Wahlkampforganisation, der Rolle des Landesverbands und des NRW-Vorstands im Wahlkampf. Doch trotz der zum Teil sicher auch berechtigten Selbstkritik sollten einige wichtige Faktoren starke Berücksichtigung finden.

Keine gute Wahl für Kleinparteien

Die Wahl in NRW war von vielen Seiten zur Schicksalswahl hoch stilisiert worden. Wochenlang berichteten Boulevard-Blätter über nichts anderes, nannten es gar ein Duell zwischen Jürgen Rüttgers und Hannelore Kraft. Grund dafür ist zum Einen, dass es sich um das bevölkerungsreichste Bundesland handelt und zudem die einzige Wahl ist, die 2010 in Deutschland stattfindet, zum Anderen hing die Bundesratsmehrheit für Schwarz-Gelb an NRW und es sollte sich um einen Lackmustest für die Stimmung der Bevölkerung nach dem Regierungswechsel im vergangenen Oktober handeln.

Ein bisschen skurril mutete dies teilweise schon an, wenn man bedenkt, dass sowohl CDU als auch SPD bei der Wahl – zusammen 12 Prozent Zustimmung – verloren haben, sie damit also etwa gleich unbeliebt sind, dass sich SPD- und CDU-Politik im vergangenen Jahrzehnt einander stark angenähert haben und dass ein mindestens 5-Parteien-System im Land absehbar war – eine Regierungsbildung also dementsprechend langwierig und schwierig sein würde. Wie sich nun, Angesichts der Debatten um Neuwahlen, deutlich zeigt.

Trotzdem hatte diese Zuspitzung einen negativen Effekt auf kleine und mittlere Parteien. Rot-Grün und Schwarz-Gelb bekamen (bei sinkender Gesamt-Wahlbeteiligung) zusammen immerhin fast 90 Prozent Zustimmung. Zwar stiegen die sonstigen um 4 Prozent an, doch hätte dies unter anderen Umständen auch durchaus noch mehr sein können. Von vielen in- und ausländischen Beobachtern war zum Beispiel im Vorfeld ein wesentlich besseres Abschneiden der ausländerfeindliche Anti-Islam-Partei „Pro NRW“ erwartet worden. In Anbetracht von zweistelligen Prognosen und Ergebnissen von verwandten Parteien in Großbritannien, Ungarn und den Niederlanden sind die letztendlichen 1,4 Prozent dort mit großer Erleichterung aufgenommen worden.

Und nicht zuletzt sollte man sich auch vor Augen halten, dass sogar die Linkspartei, die in NRW über eine qualitativ ganz andere Mitgliederstruktur und auch eine vergleichsweise leichter zu erreichende Wählerklientel in NRW verfügt, nur gerade so in den Landtag einziehen konnte. Gebracht hat ihr das nichts – denn mit den „DDR-Schmuddelkindern“ will offensichtlich keiner spielen. In Anbetracht dieser Überlegungen sind die 1,5 Prozent der Piratenpartei und das erneute Abschneiden und Festigen des Status als größte außerparlamentarische Kraft mindestens solide zu nennen.

Landtag nicht notwendig

Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt: Die Piratenpartei ist – und dies wird zwar oft erwähnt aber nicht oft genug beachtet – eine internationale Bewegung. Ihre Kernanliegen sind nicht national, sondern supranationaler oder globaler Natur. Dementsprechend wenig besorgniserregend ist da ein mittelmäßiges Abschneiden bei Kommunal- oder Landtagswahlen. Waren und sind andere Parteien darauf angewiesen, sich ihre Sporen auf niedrigeren Ebenen zu verdienen, hat die Piratenpartei dafür andere Wege. Sei es nun über außerparlamentarische Aktivitäten, durch verstärktes Engagement auf EU-Ebene oder Erfolge ausländischer Piratenparteien. Während in den Niederlanden das Entern eines Parlaments-Sitzes im Juni immer wahrscheinlicher wird, bereiten sich die schwedischen Piraten auf den Einzug in den Reichstag in Fraktionsstärke im September vor. Beides würde der Bewegung auf internationaler Ebene wichtigen Schwung verleihen. Und den kann diese nach der pragmatischen aber nicht berauschenden Gründung der Pirate Party International gut gebrauchen.

Geduld, Piraten

Viel wichtiger als die Legitimation über Wahlen und Engagement auf niedrigeren Ebenen wird jedoch das beständige Pochen auf die Werte und Ziele der internationalen Piratenparteien sein. Wo Schuld für das schlechte Abschneiden am wenigsten gesucht werden sollte, ist bei denjenigen, die für das NRW-Wahlprogramm verantwortlich sind. Denn dass ein Wahlprogramm, weil es vielleicht ein paar Ecken und Kanten aufweist, weil es mehr Programmpunkte aufweist als von vielen auf Bundesebene vorgegeben oder vielleicht auch gewünscht wurden, daran Schuld sein soll, dass eine Partei schlecht abschneidet, ist eine extrem gewagte These.

Deutlicher denn je wird, dass der Erfolg der Piratenpartei einfach mehr Geduld erfordert, als so manch einer es sich gedacht oder gewünscht hat. Und das macht auch nichts, darauf sollte man sich wohl einstellen. Und so mutet die Enttäuschung über die NRW-Wahl und den Parteitag in Bingen als das reinigende Gewitter an, das wir wohl benötigten – denn jetzt kristallisiert sich heraus, wem wirklich an den Zielen und Ideen der Piraten gelegen ist, wer Ausdauer und Kraft in eine gute Sache investieren will und wer sich ausschließlich eine finanzielle Existenz auf dem Rücken der Piraten bilden wollte.

Niemand hat behauptet, dass es leicht wird – und so geht der Kampf weiter, denn das nächste Zensursula-Gesetz kommt bestimmt.

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