Der Denis-Scheck-Gedächtnis-Selbstveriss

Wie bereits an einigen Stellen angedeutet wurde (u.a. hier: http://ennolenze.de/interview-mit-wolfgang-ferchl/547) sah ich einen Selbstveriss für den Epilog zu meinen Bekenntnissen vor. Vielleicht war das eine Sache, auf die ich hätte bestehen sollen – jedenfalls ist er nicht im Buch gelandet und ich dachte mir nun, dass ich ihn vor Weihnachten endlich veröffentliche. Ein Geschenk an die Trolle! Ein Herz für Hater! Ich finde ihn tatsächlich immer noch sehr passend und gelungen, aber lest selbst!

Epilog:
Über dieses Buch – Ein Selbstverriss

Was für ein vulgärer Titel – das ist wohl der erste Gedanke, den man an „Klick mich – Bekenntnisse einer Internetexhibitionistin“ richtet, und schnell fragt man sich: Ist das nun Charlotte Roche mit Internet statt Körperflüssigkeiten? Wurde hier abermals eine junge Frau von der Verlagsindustrie gekauft, um ihre pubertären Probleme in das Gesicht der Leser zu reiben, die eigentlich kein Interesse daran haben können und erst Recht keinen Mehrwert davon haben? Und das Ganze dieses Mal als „Sachbuch“ maskiert und als solches aufgeladen mit einem gesellschaftspolitisch relevanten Überbau inklusive sozialrevolutionärem Gestus?
So wirkt es auf den ersten Blick und so zieht es sich durch das ganze Buch. Da geht es um das Leiden an der Pubertät und den kindlichen Hass auf die Mutter, um unglückliche Liebe und eine seltsame und kaum nachvollziehbare, theatralisch inszenierte Hassliebe zu einer Figur namens Maya. Dazu ein bisschen verspätete Großstadtneurose, garniert mit Feminismus und Pornographie, was sich liest, als hätte ein pubertierendes Mädchen in sein Poesiealbum gespuckt.
Mühevoll wird versucht, eine kohärente Geschichte vorzuspiegeln, was misslingt. Der Exhibitionismus ist Programm und die Hauptfigur nicht gerade sympathisch, dreht sie sich doch nur um sich selbst und ihre kleinen Gedanken, besser gesagt, ihre unverdauten Lesefrüchtchen, die sie sich im Internet zusammengesucht hat. Die Figuren, unglaubwürdig allesamt, dienen nur der Inszenierung der narzisstischen Ich-Erzählerin.
Provozierend ist auch ist die plumpe Aneinanderreihung von simpelsten geistes- und sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen, nirgends ist die Autoren gedanklich wirklich satisfaktionsfähig. Der Text ist nachlässig geschrieben wie ein Girlytweet und gibt so einen Einblick in die Verrohung der deutschen Sprache im digitalen Zeitalter. Ein gutes Beispiel für den Niedergang unserer Kultur. Die Demokratisierung der Kunst hat einen neuen Tiefpunkt erreicht.
Diese schmerzhafte Gedankenarmut und Nachlässigkeit in der Darstellung sind eine angeblich absichtsvoll konstruierte Reaktion auf die eingebildete Ohnmacht dieser Vertreterin einer selbst ernannten „Netz-Generation“, die glaubt, in der Gewissheit aufgewachsen zu sein, dass alles, was sie sagt, schon gesagt und gedacht worden ist. In der vorliegenden Umsetzung der Julia Schramm wirkt es jedoch wie ein chronischer Unfall.
Nimmt man das Werk als Sachbuch ernst, fällt auf, dass es nicht mal im Ansatz irgendeiner Form von Standards verpflichtet ist. Stattdessen rauschen die Kapitel in immer gleichem Strickmuster an einem vorbei, es liest sich wie ein nicht endender Nachmittag in schlechter Gesellschaft. Alles wird angerissen, nichts vertieft.
Der Text ist nicht stringent, sondern fragmentiert und geprägt von Momenteindrücken und der aktuellen Stimmungslage der Verfasserin. Wenn die Sprache auf die Metamoderne kommt, ein wirrer Theoriehybrid, den sich die Verfasserin wohl in jahrelangen Rauschzuständen domestiziert hat, so wird aus der Nabelschau, die Nabelschau der Nabelschau. Das Betrachten der Roche’schen Vaginalausscheidung erscheint dagegen umgehend als sympathisch.
Politisch gesehen ist dieses Kleine-Mädchen-Buch konsequenterweise ein fragmentarischer Denkversuch zwischen Vulgärmarxismus und Erlösungsphantasien einer westlichen Wohlstandsgöre – die Verfasserin bezeichnet sich selbst pseudoironisch als „Privilegienmuschi“ -, welche sich für mehr oder minder belesen hält.
Fast scheint es, als habe die Autorin all diese Mühe auf sich genommen, um ihren Zaubertrank gegen alle Übel dieser Welt einzuführen: Transparenz! Internet, ich hör dir trapsen.
Wie ein Messias entsteigt der Begriff gegen Ende dieses seltsamen Büchleins der trüben Theorie- und Meinungssuppe, die die Verfasserin zusammengebraut hat. Diese Überladung der „Transparenz“ ist hochgradig obszön und strebt letztlich nach dem Auslöschen des Menschlichen. Hier wird, vielleicht sogar unbeabsichtigt (macht es das besser?), einer totalitären Ideologie Vorschub geleistet. Mit ihrem sturen Beharren auf „Transparenz“ zeigt Schramm, dass ihr Vertrauen und Menschlichkeit ungewohnt, gar lästig sind. Neugier als zerstörerischen Trieb, der jeglichem totalitären Zugriff eines wie auch immer gearteten „Kollektivs“, einer Volksgemeinschaft vielleicht, Vorschub leistet, kennt sie nicht. Sie repräsentiert so einen Zeitgeist, der gefährlicher und unberechenbarer nicht sein könnte. Dies wird mit der paradoxen Forderung nach Anonymität im Netz wenig überzeugend relativiert. Und dass die Autorin so tut, als sei sie sich der Abgründe der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert bewusst, macht das Ganze eher schlimmer statt besser.
Muss dieses Buch als Sachbuch als bestenfalls wirr und in jeder Hinsicht gescheitert angesehen werden, erzählt es doch nicht einmal die Biographie der Julia Schramm mit Erkenntnisanspruch für Eltern anderer „Netzkinder“, so stellt sich die Frage, ob es vielleicht ein Stück Literatur sein könnte.
Die Verfasserin selbst legt diese Spur, spielt sie doch mit diesem Moment, da sie wiederholt das Bild von sich selbst als gescheiterter Schriftstellerin bemüht, die sich das stigmatisierende Etikett „Schriftstellerin“ nur gegeben hat, um ihren Selbsthass und ihre Zweifel zu kultivieren. Obwohl sie wiederholt betont, Schriftsteller und deren übertriebene Liebe zum Leid seien „nervtötend“ und die vorgetäuschte Demut sei „abgefuckt“, lässt sie sich selbst auf das Spiel ein. Will sie sich damit gegen Kritik immunisieren oder ist das nur Zeichen von Unreife, Unfähigkeit oder Schlimmerem?
Leider ist die Verfasserin jedoch auch in keinster Weise eine Schriftstellerin, erreicht sie doch keine originelle Schöpfungshöhe; sie kopiert und setzt willkürlich zusammen – ein Sinnzusammenhang oder Kohärenzen entstehen nicht. Oberflächlich mixt sie Adorno mit kindischen Internethypes, die sich Meme schimpfen und wiederrum keine Schöpfungshöhe haben. Die Referenzen sind teilweise derart unklar, dass man fast fürchten muss, es handelte sich wie im Fall Hegemann vielleicht um eine Art Plagiat. Solchen Verfahrensweisen ist gemeinsam, dass den Autoren der Respekt vor einer Kultur, deren Erben und Profiteure sie sind, vollständig fehlt. Dazu gehört auch, dass sich das „Werk“ weigert, sich einer Form unterzuordnen, was doch ein Werk erst zu einem Werk macht.
Grundsätzlich aber scheitert der Text formal an dem Versuch, verschiedene Elemente moderner Erzähltechnik zu vereinen. Die Geschichte endet so abrupt und zufällig, wie sie beginnt, ja es wirkt, als hätte die Verfasserin am Ende eines Literaturseminars ein Buch geschrieben, in dem sie Angelerntes einmal ausprobiert. Nur so lässt sich die funktionslose und damit gescheiterte Montagetechnik, die eine Hommage an die Fragmentierung der postmodernen Gesellschaft hätte sein können, erklären.
Das Peinlichste an diesem Text ist aber die Art und Weise, wie die Autorin ihr eigenes Leid in den Kontext aller Leiden gestellt, dadurch relativiert und doch feiert – als einen Akt der Selbstbestimmung. So wird dieser Text zu einem Menetekel für die unberechenbaren Resultate einer radikalen Subjektivierung der Gesellschaft und den gleichzeitigen Versuch, dieser Subjektivität zu entfliehen – um sich damit direkt einem neuen weltbeglückendem Totalitarismus in die Arme zu werfen. Kann man auch mit 26 Jahren und einem abgeschlossenen Studium an einer deutschen Hochschule so naiv sein?
Angesichts so viel existentiellen Leids bleibt beim Leser das Bedürfnis, die Verfasserin dieses absonderlichen und grandios misslungenen Versuchs eines exemplarischen Bildungsromans der digitalen Generation ganz fest in den Arm zu nehmen und ihr eine Honigstulle mit warmen Kakao zuzubereiten. Vielleicht muss sie uns dann nicht wieder mit einem Buch behelligen.