Prioritäten und Politik

Politik heißt auch Prioritäten setzen. In der Kakophonie der Themen und Ideen, Visionen und Wahnvorstellungen ist es eine essentielle Aufgabe einer Partei zu filtern und Schwerpunkte zu setzen. Ein fragmentiertes Parteiensystem erfordert es zusätzlich geradezu sich eigene Schwerpunkte zu setzen. Das beinhaltet auch sich von Unkenrufen nach einem „Vollprogramm“ nicht irritieren zu lassen.

Der Bundesparteitag in Bochum wird über unsere politische Zukunft entscheiden, welchen Weg wir gehen, welche Richtung wir einschlagen. Und unsere Prioritäten werden hierbei hochgradig wichtig sein. Um diese Prioritäten soll es hier gehen.

Ich will euch nicht vorgeben, wie ihr inhaltlichen entscheiden sollt (auch wenn mich darum erschreckend viele in letzter Zeit gebeten haben!), dennoch möchte ich kurz vorstellen, welche Aspekte mir wichtig sind und was ich glaube, was wir als Piraten bearbeiten und liefern sollten, um sowohl dem Anspruch einer Partei, als auch unseren Weltrettungsansprüchen gerecht zu werden.

1. Kernthemen
Ich spreche nicht von Urheberrecht oder von Datenschutz, sondern von digitalem Leben und dass wir diese Kernthemen – also digitale Gesellschaft/Teilhabe – konsequent auf alle Politikfelder anwenden und in erster Linie erstmal da Positionen entwickeln sollen. Wir sind keine zweiten Grünen oder Linke, gar FDP. Ich denke, dass wir uns einen eigenen Kern erarbeiten sollten.

1.1 Außenpolitik
Es ist wichtig und gut, dass wir über Syrien und Israel sprechen und streiten. Aber sollte es nicht unser Kernthema sein die Entwicklungen im Bereich Cybermilitär zu bearbeiten? Sollten unsere Leitlinien da nicht wesentlich an den technologischen Entwicklungen orientiert sein? Wieso 3 Monate an zwei unverfänglichen Sätzen zu Israel basteln, wenn das Thema Cyberwar und Cybercrime komplett fehlt in unserem Programm? (Siehe eine gute Ini dazu: https://lqfb.piratenpartei.de/lf/initiative/show/3411.html)

1.2 Wirtschaft
Auch in der Wirtschaft beobachte ich mit Sorge eine Verantwortungsdiffusion, unter der in erster Linie unsere Kernthemen leiden. Was unsere Kernthemen und Wirtschaft gemeinsam haben? Viel! Internetwirtschaft und der dazugehörige Mittelstand, Patent- Marken- und (ganz wichtig!) Kartellrecht, Transparenz und Mitbestimmung. Auch: Wenn wir uns nicht zu den großen Gewinner der digitalen Revolution äußern, wer dann? Wenn nicht wir uns trauen diese Unternehmen und ihre Oligarchenstellung zu kritisieren, wer dann? Das Internet wird auf Grund wirtschaftlicher Interessen zu einem privaten Raum – aber unser Traum ist doch die virtuelle Polis und keine Supermall!

1.3. Energie
In einem Gespräch mit einem sehr linken Professor wurde mir die „ökologische Katastrophe Internet“ vorgehalten. Und auch wenn das polemisch ist, so ist doch ein guter Punkt dabei: Wie können wir die Technologien effizient nutzen, um weniger Ressourcen zu brauchen als jetzt? Das halte ich für einen wertvollen Beitrag zur Debatte. Wir sind die mit den Visionen, erinnert ihr euch? 🙂

1.4. Europa
Kernthemen: Demokratie, Transparenz und Bürgerbeteiligung. Achja und: Kein Nationalismus in einer internationalen „Internetpartei“ oder? 😉

2. Soziale Gerechtigkeit
Wir sind gegen Hartz4 und Sozialraub? Wir sind gegen Ausbeutung und sklavenähnliche Zustände? Gegen die Hyperökonomisierung der Menschen? Für Gerechtigkeit? Dann lasst uns das auch bitte konsequent formulieren!

Lasst uns endlich über Verteilung reden.

Über die Frage, wer welchen Zugang zu Ressourcen hat und haben soll, müssen wir uns einig werden. Wir müssen über Steuern reden und öffentliche Mittel. Wir sehen den Staat als neutrale Plattform an? Das bedeutet nicht, dass man alles so lässt wie es ist, sondern dass er neutral gemacht wird.

Der Gedanke, dass wir einfach alles und jede gleich behandeln und sich so Gerechtigkeit automatisch einstellt ist ein Trugschluss. Alle Menschen exakt gleich zu behandeln bedeutet de facto Sozialdarwinismus, denn der individuelle Erfahrungshorizont wird ignoriert, schlimmer noch: Die ökonomische Realität wird komplett ausgeblendet, jeder sich und seinem direkten Umfeld überlassen.

Solidarität ist ein Wert für uns? Dann lasst ihn uns politisch ausgestalten!

3. Innerparteiliche Befindlichkeiten
1.1 Geld
Die Debatte um Geld war in den letzten Wochen wirklich unwürdig. Es ist ja schön, wenn wir in der Partei viele guteverdienende Menschen haben, die ein Mandat auf sich nehmen, obwohl sie dann weniger als vorher haben. Es ist auch schön, wenn wir viele gut ausgebildete Mitglieder haben. Es ist aber nicht schön, wenn um Geld gefeilscht, gestritten und geneidet wird.

Auch steckt ein Vorstand immer in der Klemme:
Bezahlt werden sollen die Vorstands-Mitglieder nicht.
Vernachlässigen sie ihren Job zu Gunsten der Partei, haben sie Existenzsorgen.
Ziehen sie ihren Job durch und vernachlässigen den Vorstand gibt es Basisärger.
Haben sie einen Job, der vereinbar ist und sie gut ernährt, müssen sie sich rechtfertigen.

Dieses Dilemma müssen wir endgültig klären.

1.2 Persönliches Gedöns
Eine Partei ist ein anstrengendes Soziotop, in dem vielen Menschen parallel agieren und unterschiedliche Geschichten mitbringen. Das führt zu Verstimmungen. Auch ich mag einzelne Piraten nicht, ja fühlte mich beleidigt, wenn sie mich nicht ablehnen würden!

Dennoch bemühe ich mich, dass es ein professionelles Miteinander gibt, dass die Parteiarbeit über persönliche Befindlichkeiten gestellt wird. Ich bin mir bewusst darüber, dass auch ich meine Befindlichkeiten hin und wieder überdenken muss. Das sollten wir alle, aber das passiert leider noch zu selten. Da verweigern sich Leute der Zusammenarbeit, weil sie den Gegenüber für „nervig“, „zu xy“ oder „selbstdarstellerisch“ halten (*scnr*), weil sie mit Widerspruch fundamental nicht umgehen können und unglaublich nachtragend sind oder weil sie glauben, dass sie wissen, wie dieser wahnsinnige Haufen zu „führen“ sei, dass sie die richtigen dafür seien und sowieso alle so agieren sollten, wie sie es wollen. Das geht so nicht. Wir dürfen unsere Emotionen nicht über sachliche Entscheidungen stellen.

Fazit:
Ich würde mir wünschen, dass wir ehrlicher miteinander reden. Der Ruf nach Sachlichkeit ist oftmals nicht unbedingt sinnvoll, weil er Protest und Widerstand meistens nur verstummen lassen will. Aber Ehrlichkeit tut Not. Dringend. Wir sollten uns darauf konzentrieren, wer wir sind und wie wir unsere Ziele erreichen wollen. Denn unsere Ziele sind klar, oder?
Also setzt euch hin und arbeitet am Programm. Das ist wichtiger als Mandate!
Wie? Danke für die Frage! Infos findest du hier: http://vorstand.piratenpartei.de/2012/08/17/wie-geht-das-eigentlich-mit-den-antragen-fur-den-bundesparteitag-in-bochum/

Uodate-Kommentar: Ich habe auf Nachfrage noch Europa ergänzt. Bitte ergänzt doch noch in den Kommentaren, wenn euch „Kernthemen“ einfallen 🙂 Danke!