Evolution und Selbstbezüglichkeit

Was treibt den Menschen an? Nach meinem Blog zu urteilen vor allem die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und der Drang Ewigkeit zu erfahren und zu produzieren, sich seine eigene Existenz in einem höheren, meta-physischen Ordnungsrahmen zu erklären. Bisher habe ich somit einer wesentlichen Antriebsfeder keinen angemessenen Raum zugewiesen: Selbsterhaltung.

Der nicht-humanen Natur unterstellt man immer zu gerne platte rationale Selbsterhaltungstriebe. Gefressen und Gefressen werden scheint die Devise des Tierreichs zu sein, während die Menschen sich mit ihrem Geiste über dies erheben können. Aber tun sie dies auch? Wir haben Techniken entwickelt, die uns von den triebhaften und instinktiven Impulsreaktionen erheben können, die uns die Möglichkeit zur Reflexion und zur Schaffung eines komplexen sozialen Systems geben. Doch nur weil wir die Potenz dafür haben, heißt das noch lange nicht, dass wir diese auch nutzen. Wir können unsere schwachen und vielleicht auch faulen Mitmenschen unterstützen, ihnen Chancen geben, die ihnen die Natur verweigert hat, sie tolerieren und akzeptieren wie sie sind. Wir können es aber auch lassen.

Und so ist die Frage, ob unser soziales Netz nicht de facto doch vom egoistischen Selbsterhaltungstrieb des Einzelnen dominiert wird, ob das „egoistische Gen“ auch uns und die Gesellschaft determiniert. Sollte dies der Fall sein, müssen wir jedoch davon ausgehen, dass die Realität schon dem entspricht, was die Natur unter sinnhaftig versteht, dass die evolutionäre Selektion schon funktioniert, kurz: das wir nichts machen können! So wären wir determiniert, Opfer evolutionärer Mechanismen und willenlos.

Doch ganz so einfach will ich es mir nicht machen. Weder in die deterministische, noch in die existenzialistische Richtung, denn nur weil wir einen freien Willen haben können, heißt das nicht, dass wir nicht evolutionären Mechanismen der menschlichen Kultur ausgeliefert sind bzw., dass wir nicht Kulturtechniken entwickelt haben, die uns bestimmen und die wir letztlich nur durch Selbstreflexion aufheben können. Also muss man auch das „egoistische Gen“ angepasst an eine Mittelstellung zwischen Existenzialismus und Determinismus begreifen. So entwickelt der moderne Mensch verschiedene Intensitäten von Selbstbezüglichkeit, die sich zu selbstlaufenden Mechanismen entwickeln können, so z.B. Eitelkeit, oder zu Mechanismen, die durch eine meta-Ebene wiederum selbstbezüglich werden, weil sie in der Reflexion über sich selbst schließlich gewollt und somit bestärkt werden – so z.B. der Hedonismus. Selbstbezüglichkeit kann auch bedeuten, dass ich der Meinung bin, das Universum drehe sich um mich, alles Handeln und Sagen meiner Mitmenschen sei in Verbindung zu mir, auch negativ, was mir wiederum schaden kann. Selbstbezüglichkeit kann auch ein Selbstschutz sein, um mich von der Umgebung abzugrenzen und Ignoranz zu entwickeln. Und so ist die platte Annahme der natürlichen Selbsterhaltung beim modernen Menschen vor allem zur Selbstbezüglichkeit mutiert. Erst wenn der Überlebenskampf wieder notwendig wird, in Form von einem wie auch gearteten Krieg, dreht sich diese Selbstbezüglichkeit wieder in Selbsterhaltung.

Und so bleibt der Existenzialismus ein Anspruch an den Menschen eigenverantwortlich und souverän zu handeln – mit sich im Reinen zu sein und ohne die Abhängigkeit zu anderen Entscheidungen treffen zu können – eben nur ein Anspruch, denn das Überwinden der Selbstbezüglichkeit ist ein langer und harter Weg, den die meisten wahrscheinlich nur mit einem Krieg, und dann auch nur temporär, erreichen werden können.

M.C. Escher - Zeichnende Hände
M.C. Escher - Zeichnende Hände